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Volltext (PDF) - Deutsches Institut für Erwachsenenbildung

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38<br />

Eine öffentliche Behandlung dieses Themas hätte<br />

somit die Gesellschaft selbst getroffen. In den letzten<br />

Jahren war allerdings der Trend zu beobachten,<br />

daß man in der familiensoziologischen und kriminologischen<br />

Literatur jener Zeit geschlechtsbezogene<br />

Gewalt als solche wahrgenommen hat. Diese<br />

Vorkommnisse wurden jedoch nie herausgehoben,<br />

sondern verschmolzen mit anderen Problemen und<br />

wurden nicht als Gewalttätigkeiten gekennzeichnet:<br />

Schläge waren z.B. ein nebensächlicher Sonderfall<br />

von Konfliktaustragung in der Ehe oder ein Symptom<br />

zerrütteter Familienverhältnisse. Es fand keine<br />

besondere Beachtung, wer wen schlug. Vergewaltigung<br />

war ein pikanter Teilaspekt von Sexualität<br />

oder wiederum ein Sonderfall von Kriminalität.<br />

Viele Mitarbeiterinnen der Frauenhäuser und<br />

Frauenhaus-Beratungsstellen in Ostdeutschland begründen<br />

ihr Engagement mit eigener Betroffenheit<br />

und selbst erlebten Erfahrungen in der eigenen Beziehung<br />

oder im Beruf (etwa als Krankenschwester,<br />

die jahrelang immer wieder Mißhandlungsverletzungen<br />

gesehen hat). Dies und die Tatsache, daß<br />

bereits die letzte DDR-Regierung die Einrichtung<br />

von Frauenhäusern plante und be<strong>für</strong>wortete,<br />

verdeutlicht, daß gegen Frauen gerichtete innerfamiliäre<br />

Gewalt in der DDR zum Alltag gehörte,<br />

auch wenn sie nicht als solche öffentlich thematisiert<br />

wurde.<br />

Inzwischen begann eine Vielzahl von Frauenhäusern<br />

in Ostdeutschland ihre Arbeit, womit äußerlich<br />

gesehen eine ‚westliche‘ Einrichtung erst einmal im<br />

Osten übernommen wurde. Aber bereits sehr<br />

schnell stellten sich tiefergehende und vielfältige<br />

Probleme bei der Übertragung dieses Modells ein.<br />

Weder auf alltagspraktischer (wie bei der Hausordnung<br />

oder der Beratungsorganisation), noch auf<br />

konzeptioneller (bei der Parteilichkeit <strong>für</strong> Frauen<br />

oder dem Anspruch der Selbsthilfe der Betroffenen),<br />

noch auf der organisatorischen Ebene (etwa die Trägerschaft),<br />

waren die eingeschliffenen Antworten<br />

aus dem Westen der Realität adäquat. Die Übertragbarkeit<br />

der westliche Erklärungsansätze und Praxismodelle<br />

steht in Frage. Die tiefe Spaltung, die<br />

sich zwischen westlichen und östlichen Frauenhauserfahrungen<br />

auftut, ist in mehrfacher Hinsicht exemplarisch.<br />

Einige seien hier kurz umrissen: Die<br />

Frauenhäuser stehen im Westen <strong>für</strong> ein Konfliktmodell<br />

des Geschlechterverhältnisses. Die hohe Akzep-<br />

tanz dieses Modells, das in Westdeutschland mit<br />

starker feministischer Prägung dieses Praxisfeldes<br />

zusammenhängt, erwuchs auf historischem Hintergrund.<br />

Über 25 Jahre hinweg hatte in der Bundesrepublik<br />

eine modernisierte soziokulturelle Trennung<br />

der Sphären von Mann und Frau sich verfestigt.<br />

Frauenhäuser und die ihnen verwandten Projekte<br />

symbolisieren den Anspruch auf eine zivilisierte<br />

Austragung des als selbstverständlich empfundenen<br />

Konfliktes zwischen den Geschlechtern. Diese<br />

Selbstverständlichkeit findet hingegen in Ostdeutschland<br />

keinen vergleichbaren Boden.<br />

Daher leuchten weder die Interpretations- und<br />

Erklärungsmodelle <strong>für</strong> Gewalt gegen Frauen, noch<br />

die eher parteilich und separierend angelegten Maßnahmen<br />

Westdeutschlands unmittelbar ein. Diese<br />

Bewertungsdifferenzen werden noch unzulänglich<br />

artikuliert, da die westlichen Projekte über einen<br />

doppelten, kaum einholbaren Vorsprung verfügen:<br />

Sie verweisen sowohl auf fachliche Ausbildungen in<br />

der sozialen Arbeit, als auch auf viele Jahre Frauenhauspraxis.<br />

Unterschiedliche Sozialisationsbedingungen,<br />

wie sie zwischen Ost und West gegeben<br />

sind, führten zu unterschiedlichen Einstellungen,<br />

Interessen, Bedürfnissen etc. Damit lassen sich die<br />

in Westdeutschland gewonnenen umfangreichen<br />

Kenntnisse zur Thematik nicht ohne weiteres <strong>für</strong> das<br />

Transparentmachen der Ursachen von Gewalt gegen<br />

Frauen im Osten Deutschlands nutzen.<br />

6.3 Familiäre Gewalt in der DDR<br />

Es spricht sehr viel da<strong>für</strong>, daß die Gewaltproblematik<br />

in der DDR eine andere Ausprägung hatte als in<br />

Westdeutschland. Da viele Frauen arbeiten gingen<br />

und Scheidungen relativ leicht möglich waren (hinsichtlich<br />

der materiellen Konsequenzen), waren<br />

langjährige Gewaltbeziehungen sehr selten, ökonomische<br />

Unabhängigkeit und unabhängige Lebensformen<br />

<strong>für</strong> Frauen hatten zumindest Einfluß darauf,<br />

wie die Verweildauer in Gewaltbeziehungen aussah.<br />

Die privatisierten Gewaltverhältnisse hatten sich<br />

auch anders dargestellt auf dem Hintergrund, daß<br />

Frauen im Sozialismus zwar in einem erstaunlich<br />

kleinbürgerlichen Familienmodell lebten (<strong>für</strong> den<br />

Sozialismus sehr erstaunlich), daß aber im Gegensatz<br />

zu den westlichen Ländern, wo es dieses große<br />

Hochhalten von bürgerlichen Familienidealen gibt,

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