Volltext (PDF) - Deutsches Institut für Erwachsenenbildung
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als den ‚Rückzugsort‘, als den ‚Freiheitsort‘, als den<br />
‚Ort der eigentlichen und tatsächlichen Selbstverwirklichung‘,<br />
daß <strong>für</strong> diese ungeheuren Aufgaben<br />
der Familie zumindest Unterstützungsmaßnahmen<br />
vorhanden waren, die die Position der Frau stärkten,<br />
insbesondere in ihrer Funktion als Mutter und Erzieherin.<br />
In der DDR gab es auf Grund der Tabuisierung<br />
keine nennenswerte Darstellung der Gewaltproblematik,<br />
auch war die Biographieforschung noch ein<br />
völlig unbekanntes Feld innerhalb der Soziologie.<br />
Darum können es sich bei den gefundenen Erklärungsmustern<br />
nur um Vermutungen handeln. Aus<br />
den Befragungen der Frauen geht hervor, daß<br />
1. die vom Elternhaus vorgelebten Konfliktlösungsstrategien<br />
und<br />
2. eine Erziehung, die dem traditionellen Rollenbild<br />
der Geschlechter verhaftet ist<br />
als oftmals alleinige Ursachen der innerfamiliären<br />
Gewalt anzusehen sind. Gegenseitige Abhängigkeiten<br />
hielten sich die Waage und dies impliziert,<br />
daß beide Partner <strong>für</strong> die innerfamiliäre Situation zu<br />
einem gewissen Anteil selbst Verantwortung trugen.<br />
Im Gegensatz zu Westdeutschland kommt man<br />
diesbezüglich zu ganz anderen Bewertungen der<br />
Ausbreitung familiärer Gewaltbeziehungen:<br />
– familiäre Gewalt war ausschließlich in den unteren<br />
sozialen Schichten verbreitet;<br />
– Alkoholkonsum spielte eine zentrale Rolle bei<br />
der Auslösung gewalttätiger Eskalationen;<br />
– Gewaltbeziehungen dauerten relativ kurz an;<br />
– nach der Wende 1989 stieg die Zahl der Fälle<br />
innerfamiliärer Gewalt.<br />
Partner, zwischen denen es zu einer gegen die Frau<br />
gerichteten Gewalt kam, hatten meist ein<br />
traditionelles Rollenbild der Geschlechter verinnerlicht.<br />
Die Frauen hatten in ihrem Leben erfahren,<br />
daß soziale Position und Anerkennung im unmittelbaren<br />
sozialen Umfeld weniger als bei den Männern<br />
von Leistungen in der Schule, im Beruf, in Karriere<br />
oder Einkommen abhängen, sondern viel eher in<br />
ihrer Beliebtheit (besonders im Aussehen), in Charme,<br />
Sympathiekraft u.v.a.m. Das Beharren der gewalttätigen<br />
Männer auf einer Vormachtstellung in<br />
der Ehe führte mehr oder weniger zur Gewaltanwendung<br />
bei einer empfundenen oder realen Statusbedrohung.<br />
Gewalt benutzten sie häufig als Mittel,<br />
um eine Machtposition aufrechtzuerhalten. Die-<br />
39<br />
se Machtmittel wurden angewendet, wenn andere<br />
nicht zur Verfügung standen, wie Bildung oder Besitz.<br />
Im Gegensatz zum Westen Deutschlands, wo<br />
familiäre Gewalt in allen sozialen Schichten und<br />
Einkommensgruppen anzutreffen ist - ein Trend,<br />
der sich leider auch allmählich in Ostdeutschland<br />
abzeichnet – waren diese Phänomene in denkbaren<br />
sozialen Schichten mit einem höheren Bildungsabschluß<br />
sehr selten und die gewalttätigen Männer<br />
hatten oft nicht einmal den Abschluß der 10. Klasse.<br />
Viele Frauen gaben bei Befragungen an, daß sie<br />
vorwiegend oder immer nur dann mißhandelt wurden,<br />
wenn ihr Partner unter Alkoholeinfluß stand.<br />
Damit korrelierte in der DDR Alkoholkonsum positiv<br />
mit Gewalttätigkeiten gegenüber Frauen.<br />
6.4 Nach der Wende 1989: Die innerfamiliären<br />
Machtverhältnisse ändern sich<br />
Wer sich in ostdeutschen Familien nach der Wende<br />
umsieht, bekommt den Eindruck, daß familiäre<br />
Gewalt zwangsläufig zunehme. Das ist eine Annahme,<br />
die heute allerdings mit Zahlen noch nicht zu<br />
belegen ist. Zumal die Dunkelzifferberechnung, auf<br />
die sich westdeutsche Experten stützen, so die Statistik<br />
des Bundeskriminalamtes (BKA), <strong>für</strong> Ostdeutschland<br />
zur Zeit keine Anwendung findet: Diese<br />
spiegeln sich darin rein zahlenmäßig überhaupt<br />
nicht wieder.<br />
Auf den ersten Blick sieht es allerdings so aus, als<br />
stimme diese These nicht. Denn die ostdeutschen<br />
Familien halten heute mehr zusammen als zu<br />
DDR-Zeiten. Man hilft und braucht sich gegenseitig<br />
im Existenzkampf, Frauen sind auf die Männer<br />
angewiesen, die Kinder auf die Eltern und die Familie<br />
kann von einer Einkommensquelle in den<br />
meisten Fällen nicht leben. Inzwischen werden alle<br />
innerfamiliären Konflikte vertuscht und angesichts<br />
der äußeren Probleme auch in ihrer Bedeutung<br />
zurückgestellt. Vielfach äußern Frauen in den Interviews:<br />
‚Ja, natürlich geht vieles schief, aber drüber<br />
reden wir jetzt nicht, das ist nicht wichtig‘. Man<br />
kann es sich ‚nicht leisten‘, auseinander zu gehen.<br />
Kein Part würde vermutlich die Trennung verkraften.<br />
Die Ehescheidungen gingen von 50.000 im Jahr<br />
1989 zurück auf 9.000 im Jahr 1991. Auch wenn<br />
das Scheidungsrecht in der Bundesrepublik das Verfahren<br />
verlängert und verkompliziert gegenüber