Volltext (PDF) - Deutsches Institut für Erwachsenenbildung
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52<br />
nicht als offen anzusehen. Dann können sich die<br />
Familienstrukturen verhärten und sich die unterschiedlichsten<br />
Symptome und persönlichen Schwierigkeiten<br />
entwickeln.<br />
7.13 Aggression als Selbstschutz?<br />
Frage: Die Zuweisungen der Schwierigkeiten auf<br />
einen Außenfeind muß allerdings nicht notwendig<br />
zu einem größeren Verständnis nach innen führen.<br />
Bilden wir das Beispiel noch etwas weiter: Der Sohn<br />
mag zwar der Verlagerung der Verantwortung nach<br />
außen, auf den westlichen Arbeitgeber, zustimmen,<br />
aber er kann – insbesondere in seinem pubertären<br />
Alter – die Demütigung der Eltern nicht ertragen,<br />
also ihre Resignation und ihre Enttäuschung, zu den<br />
geschichtlichen Verlierern zu gehören. Er begehrt im<br />
Gegenteil auf, übernimmt nicht nur symbolisch gesprochen<br />
‚die Fahne der Eltern‘ und sinnt nun darauf,<br />
mit aller Gewalt gegen die Kolonisatoren vorzugehen.<br />
Das schmerzliche Gerede der Eltern reicht<br />
ihm nicht aus, er schließt sich einer Clique gewaltbereiter<br />
Jugendlicher an. Ist dies aus seiner Sicht<br />
nicht konsequent? Da die schwachen Eltern ihm<br />
keinen Schutz geben können, rüstet er innerlich<br />
selbst auf und wird aggressiv. Was heißt unter solchen<br />
Umständen, der Jugendliche solle die Unsicherheit<br />
seiner Eltern ‘akzeptieren’? Er nimmt sie<br />
wohl zur Kenntnis, verhält sich auch nicht resignativ<br />
wie seine Eltern, sondern wird aktiv, ja er schlägt<br />
über die Stränge und läßt alle Aggressionen, einschließlich<br />
diejenigen, die seine Eltern an ihn weitergereicht,<br />
also auf ihn übertragen haben, heraus.<br />
Das mag uns von den Auswirkungen her nicht sympathisch<br />
sein, aber handelt es sich nicht um ein sehr<br />
kohärentes Verhalten des Jugendlichen?<br />
Wagner: Ich bezweifle das. Ich weiß nicht, ob der<br />
Jugendliche in diesem Fall wirklich Unsicherheit<br />
zuläßt. Mir scheint, der Jugendliche überspielt seine<br />
Unsicherheit, indem er gewaltbereit ist, gar Gewalt<br />
ausübt. Der Vater überspielt seine Unsicherheit,<br />
indem er sich noch mehr zurückzieht, als es gut<br />
ist. Die Verdrängungsleistung wird komplementär<br />
aufgespalten. Wenn es dem Vater gelänge, mehr<br />
Aktivitäten zu entfalten, wäre vielleicht der Sohn in<br />
der Lage, seine Unsicherheit anders umzusetzen, als<br />
nur das andere Extrem zur elterlichen Passivität zu<br />
liefern.<br />
Foertsch: Wer seine Unsicherheit zuläßt und benennt<br />
und anschaut, mußt nicht gleich wieder verunsichert<br />
sein. Da gibt es keinen Automatismus.<br />
Ganz im Gegenteil, in der jetzigen Zeit kann es ein<br />
großes Gefühl von Sicherheit geben, wenn ich Eltern<br />
habe, die in der Lage sind, darüber zu sprechen<br />
und neue Strategien zu entwickeln. Das kann sehr<br />
viel Sicherheit geben, wenn man Eltern hat, die in<br />
der Lage sind, das zuzulassen.<br />
Ich könnte da<strong>für</strong> auch Beispiele nennen. Ich denke<br />
an eine Mutter von drei Töchtern – zwei von ihnen<br />
sind recht handfest in der rechtsradikalen Szene<br />
eingetaucht. Die Mutter war überhaupt nicht in<br />
der Lage, mit ihrer neuen Lebenssituation klarzukommen.<br />
Sie war selbst arbeitslos geworden, hatte<br />
aber immer von sich ein Bild, sie sei eine Mutter, die<br />
damit klarkomme, alleinerziehende Mutter von drei<br />
Töchtern zu sein, die sich eingeredet hat, ‘ich komme<br />
damit klar, ich komme damit klar, ich komme<br />
damit klar’. Sie sagt das auch weiterhin und schaut<br />
überhaupt nicht hin, daß sie nicht in der Lage ist,<br />
mit ihrer Arbeitslosigkeit klarzukommen.<br />
7.14 Kinder als Symptomträger<br />
Oder ich denke an eine andere Familie, in der Arbeitslosigkeit<br />
keine Rolle spielt. Der Vater befindet<br />
sich nach wie vor in einer sehr guten Position, vor<br />
der Wende wie heute auch; sein Sohn jedoch, der<br />
jetzt in der Gesamtschule ist, hat ganz viele Fragen,<br />
viele Probleme, ist ganz diffus. Frißt in sich hinein,<br />
ist übergewichtig geworden noch dazu. Die Eltern<br />
können das überhaupt nicht zulassen, daß ihr Sohn<br />
so viele Fragen hat, auf die sie selbst keine Antworten<br />
wissen. Eigentlich müßten die Eltern sagen, ‘so<br />
genau wissen wir das auch nicht, wir sind doch zusammen<br />
in der DDR großgeworden, jetzt haben wir<br />
doch auch das Problem der Umstellung’. Dem Jungen<br />
bleibt gar nichts anderes übrig, als sich in seine<br />
eigenen depressiven Träume zu verkriechen – er hat<br />
angefangen zu stottern, hat Sprachprobleme, frißt<br />
alles in sich hinein, ist übermäßig dick geworden.<br />
Die Eltern lehnen, das habe ich in der Therapie erlebt,<br />
jede Infragestellung dessen ab, was sie bisher<br />
gemacht haben. Der Vater neigt mit jeder Infragestellung<br />
mehr dazu, autoritär zu reagieren, die Mutter<br />
zieht sich noch mehr zurück, schützt ihren Mann<br />
und traut sich gar nicht, ihm zu sagen, ‘wir müssen