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Volltext (PDF) - Deutsches Institut für Erwachsenenbildung

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dem alten DDR-Rechtsverfahren, ist dies doch<br />

nicht der einzige Grund. Denn eine Scheidung hat<br />

heute, im Unterschied zum DDR-Recht, einschneidende<br />

soziale Folgen <strong>für</strong> alle Beteiligten.<br />

Kinder sind heute länger von ihren Eltern materiell<br />

abhängig. Einst haben Jugendliche in der DDR<br />

mit Erreichen der wirtschaftlichen Selbständigkeit,<br />

das war <strong>für</strong> etwa 75 % der Zehnteklassenschüler und<br />

Lehrlinge mit Erreichen der Volljährigkeit der Fall,<br />

eine eigene Lebensgestaltung angestrebt, sofern die<br />

Wohnraumlage das zuließ, was in Großstädten eher<br />

der Fall war. Heute ist dies angesichts der hohen<br />

Mieten aber vor allem der hohen Arbeitslosenrate<br />

unter den Jugendlichen schwerer möglich, sie sind<br />

gewissermaßen zum ‚Nesthocken‘ verurteilt. Nur<br />

wenige können sich mit Erreichen der Volljährigkeit<br />

noch eine eigene Wohnung und Lebensführung leisten.<br />

So fühlen sich viele ältere Jugendliche gewissermaßen<br />

zurückgestuft in die elterliche Abhängigkeit,<br />

vermutlich lassen die Eltern sie die vermehrten<br />

finanziellen Belastungen auch spüren. Das<br />

aber trägt letzten Endes zu einer Zuspitzung<br />

innerfamiliärer Konflikte bei, zumal sich die beengte<br />

Wohnraumsituation bei den meisten Familien<br />

eher verschärft hat.<br />

Viele Männer sind unzufrieden mit ihrer Erwerbssituation.<br />

Nur etwa ein Drittel maximal<br />

scheint über einen festen Arbeitsplatz zu verfügen.<br />

Aber die Arbeitsverhältnisse selbst haben sich verändert:<br />

Der Betrieb hat seine Rolle als ‚Freizeitorganisator‘<br />

und zentraler kommunikativer Ort verloren,<br />

die Beschäftigten werden wie in Westdeutschland zu<br />

‚Malochern‘. Zunehmend wird die familiäre Situation<br />

auch durch die Intensivierung der Arbeit in<br />

modernisierten Betrieben oder durch lange Fahrwege<br />

bzw. regelmäßigen, mehrtägigen Aufenthalt in<br />

weit entfernt liegenden Betrieben belastet. So hat<br />

sich also eine erheblich Palette von Unzufriedenheiten<br />

angehäuft, die sich auf das ‚Familienklima‘<br />

auswirken.<br />

Die Frauen waren in der DDR zu einem hohen<br />

Teil erwerbstätig, nirgendwo auf der Welt war die<br />

Quote der erwerbstätigen Frauen höher als in der<br />

DDR. Die oben bereits erwähnten Beziehungen am<br />

Arbeitsplatz in der DDR knüpften das soziokommunikative<br />

Netz der Frauen. Auch wenn sie meistens<br />

mit der Hausarbeit von ihren Ehemänner alleingelassen<br />

wurden und eine Doppelrolle auszufül-<br />

len hatten, hatten sie die Hausarbeit so weit rationalisiert,<br />

daß ihnen eine Ganztagsbeschäftigung als<br />

Hausfrau weder kommunikativ noch ausfüllend erscheint.<br />

Die Hausfrauenrolle wird von den meisten<br />

nicht angenommen, arbeitslose Frauen fühlen sich<br />

unausgelastet und können sich nicht vorstellen, wie<br />

viele ihrer westdeutschen Schwestern sich Sinn<br />

spendend, also hauptamtlich nur mit dem Haushalt<br />

beschäftigen können.<br />

Heute jedoch sind sie Hauptopfer der wirtschaftlichen<br />

Umstrukturierung Ostdeutschlands. Viele<br />

Frauen sind schlicht und einfach frustriert und sie<br />

haben auch allen Grund dazu. Frauen neigen weniger<br />

zur Gewalt als Männer, aber sie thematisieren<br />

doch ihre Unzufriedenheit in den Familien. Es treten<br />

in den Familien Problemfelder auf, die zur Zeit<br />

nicht bearbeitet werden können. Hinzu kommt,<br />

daß sich die Machtverhältnisse in der Familie einseitig<br />

zugunsten der Männern entwickeln. Frauen<br />

signalisieren bereits, daß Männer, die eine gut bezahlte<br />

Stellung haben, und sei es im Westen<br />

Deutschlands, die einseitige materielle Abhängigkeit<br />

der Frauen zur Demonstration von Chauvinismus<br />

nutzen. Wochenendpendler kommen nach Hause<br />

und verordnen der Familie die Unterordnung; die<br />

Konkurrenz im Kampf um den Arbeitsplatz wird in<br />

das eheliche Schlafzimmer verlagert, der Besitzer eines<br />

Arbeitsplatzes sorgt <strong>für</strong> die materielle Reproduktion<br />

der Familie und läßt sich dies durch ein bisher<br />

ungekanntes Verlangen von Dienstleistungen bezahlen.<br />

„Wer verdient, hat das Sagen. Wer mehr verdient<br />

hat, mehr zu sagen...“ Das sind Zitate von<br />

Frauen; Männer äußern dies wohl ziemlich unmißverständlich.<br />

Neu ist, daß dies plötzlich in allen Bevölkerungsschichten<br />

auftritt.<br />

6.5 Eine erste Bilanz der Nachwendezeit:<br />

die Überforderung der Familien<br />

In Beziehungen, in denen Frauen nach der Wende<br />

plötzlich mit psychischer oder physischer Gewalt<br />

konfrontiert wurden, entdecken sie bei ihren Partnern<br />

Verhaltensweisen, die sie früher in dieser Form<br />

nicht festgestellt hatten. In Befragungen wurden als<br />

Gründe <strong>für</strong> das Schlagen angegeben: „grundlose Eifersucht“,<br />

„das Vertreten einer eigenen Meinung“,<br />

„Alkohol“, der „Einfluß anderer“. Diese Faktoren<br />

korrespondieren mit dem traditionellen Rollenver-

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