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Volltext (PDF) - Deutsches Institut für Erwachsenenbildung

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und Tiere zu achten und nicht ausschließlich die<br />

eigene Selbstverwirklichung und Individualisierung<br />

in den Vordergrund stellen. Mir schweben kooperative,<br />

und zwar freiwillig kooperative Beziehungen<br />

vor, also Aspekte, die in der DDR mehr erzwungen<br />

waren und nicht einem inneren Schritt<br />

entsprachen.<br />

Darin besteht <strong>für</strong> meine Begriffe der Hauptunterschied.<br />

Deutlicher als in der DDR ist in Westdeutschland<br />

auch Männliches und Weibliches unterschieden,<br />

hier ist an den Einfluß des Feminismus<br />

zu denken und seine Nachwehen bei Männerinitiativen;<br />

diese Entwicklungen haben in dieser Tiefe in<br />

der DDR überhaupt nicht stattgefunden. Hier waren<br />

alle gleichberechtigt, alle Menschen, das war’s<br />

dann auch schon fast. Ein darüber hinausgehender<br />

Individualisierungschritt war unmöglich.<br />

Frage: Wenn wir heute sehen, daß der politische<br />

Umbruch als Auslöser <strong>für</strong> Familienkonflikte fungiert,<br />

dann könnte dies gerade damit zusammenhängen,<br />

daß heute mehr Individualiserungsspielräume<br />

offenstehen.<br />

Wagner: Das war das Paradoxe <strong>für</strong> mich in der<br />

Eheberatung während der Wende-Zeit. Man hätte<br />

annehmen können, daß die Verunsicherung die Paare<br />

zusammenbringt – das hat es zwar zum Teil auch<br />

gegeben –, aber andererseits hat es vielen den Mut<br />

gegeben, die sich dann gesagt haben, ‘jetzt riskiere<br />

ich es’. Nehmen wir das Beispiel einer langdauernden<br />

Ehe, die nicht schlecht, aber auch nicht so richtig<br />

gut war, in der nun der eine sich sagt, ‘Mensch,<br />

nun riskierst Du es’. Mehrfach habe ich Paare erlebt,<br />

in denen die Frauen losgezogen sind und die Männer<br />

als heulendes Elend zurückblieben.<br />

Foertsch: Bestimmt gibt es hier große regionale<br />

Unterschiede, z.B. zwischen Stadt und Land. In<br />

Berlin etwa sind diese persönlichen Aufbruchsphasen<br />

sicher öfter anzutreffen als irgendwo auf dem<br />

flachen Land, wo die Menschen überhaupt nicht<br />

von dieser Problematik berührt sind, die Menschen<br />

sich nicht begegnen oder solche Möglickeiten wahrnehmen<br />

würden.<br />

Frage: Wenn man etwa den Familienatlas des<br />

Deutschen Jugendinstitutes (DJI) aufschlägt, kommen<br />

die unterschiedlichen Ausprägungen deutlich<br />

zum Ausdruck: eher traditionelle Familienmodelle<br />

auf dem Land, in den Städten wesentlich mehr Singles<br />

oder getrennt lebende Paare.<br />

Foertsch: Diese Differenzierung gilt mindestens<br />

ebenso sehr <strong>für</strong> Ostdeutschland. Bewohner aus dem<br />

Ostteil Berlins haben viel mehr Berührungen mit<br />

anderen Lebensformen als in der Thüringer Provinz,<br />

und zwar nicht nur Möglichkeiten, das auszuleben,<br />

auch Modelle da<strong>für</strong>, wie man alleinerziehend, alleinstehend<br />

leben oder als Paar zusammemleben kann,<br />

ohne an Heirat zu denken. Solche Modelle <strong>für</strong> andere<br />

Lebensformen sind auf dem flachen Land weniger<br />

zu finden, dort sind das nach wie vor Außenseiter.<br />

7.11 Schwache Eltern – starke Kinder<br />

Frage: Im Spannungsbereich elterlicher Autorität<br />

und Kinder stehen die Familien vor neuen Anforderungen.<br />

Nachdem die Eltern in der Vergangenheit<br />

eine bestimmte Rolle wahrgenommen haben,<br />

beginnen nun die Kinder, Fragen zu stellen. Elterliche<br />

Autorität zerbröselt, die Erwachsenen wissen<br />

sich oft angesichts der Vorwürfe ihrer Kinder nicht<br />

zu helfen. Die Antworten, die Familien darauf finden,<br />

sind offenbar sehr unterschiedlich.<br />

Foertsch: Wenn Kinder ihre Eltern verunsichert<br />

erleben, fühlen sich Kinder dadurch selbst verunsichert.<br />

Eltern sind wichtige Orientierungspersonen,<br />

sie sagen den Kindern, wo es lang geht, und sie wissen<br />

auch, daß dieser Weg der richtige ist. Dazu sind<br />

Eltern da, und das ist gut so.<br />

Für Kinder und noch viel mehr <strong>für</strong> Jugendliche,<br />

die beginnen, Eltern in Frage zu stellen, ist es wichtig,<br />

die Eltern nicht unsicher zu erleben. Wenn Jugendliche<br />

merken, ‘ich kann meinen Vater umpusten<br />

mit meinen Äußerungen’, sind sie selbst verunsichert,<br />

weil sie nicht mehr wissen, ‘ist das mein sicherer,<br />

fester und handfester Vater oder ist das ein<br />

Mensch, der selbst nicht weiß, wo es lang geht’.<br />

Gerade dies erleben viele Jugendliche zur Zeit,<br />

daß ihre Eltern unsicher sind. Den Eltern ist dies<br />

nicht vorzuwerfen, denn dies ist ihre Lebenssituation.<br />

Aufzulösen ist dies nur, wenn man sozusagen<br />

eine Meta-Ebene beschreitet, daß nämlich die Kinder<br />

von ihren Eltern lernen müssen – und da werden<br />

die Eltern wieder sichere Orientierungspersonen<br />

–, ‘wie verhalte ich mich zu der Verunsicherung,<br />

mit der ich konfrontiert bin?’ Nicht daß man sie vermeidet,<br />

denn das ist die erste, naheliegende Gefahr,<br />

sondern daß ich feststelle, ich kann dieser Verunsi-

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