epd Dokumentation online - Der Deutsche Koordinierungsrat der ...
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12 10/2007 <strong>epd</strong>-<strong>Dokumentation</strong><br />
»... bloss ein System <strong>der</strong> Philosophie« – Eine Einführung in den<br />
»Stern <strong>der</strong> Erlösung« von Franz Rosenzweig<br />
Von Dr. Martin Brasser<br />
Franz Rosenzweig (1886–1929) – Leben und<br />
Werk als Herausfor<strong>der</strong>ung für Juden und<br />
Christen heute. Tagung <strong>der</strong> Buber-Rosenzweig-<br />
Stiftung e.V. und <strong>der</strong> Konrad-Adenauer-Stiftung<br />
e.V., Wesseling, 16.–18.10. 2006<br />
Meine Aufgabe besteht darin, in Franz Rosenzweigs<br />
philosophisches Hauptwerk einzuführen,<br />
in den »Stern <strong>der</strong> Erlösung« (SE). 1<br />
Im Rückblick schreibt Rosenzweig selbst, dass<br />
<strong>der</strong> SE »bloss ein System <strong>der</strong> Philosophie« 2<br />
sei,<br />
und nicht etwa ein »jüdisches Buch« 3<br />
o<strong>der</strong> eine<br />
Religionsphilosophie 4 o<strong>der</strong> irgend etwas an<strong>der</strong>es.<br />
Entsprechend besteht meine Aufgabe darin, Ihnen<br />
die Systematik dieses Systems verständlich zu<br />
machen, d.i. das innere Bauprinzip herauszuarbeiten,<br />
das die Argumentation Rosenzweigs leitet<br />
und vorantreibt bis zum Ende, an dem dann – auf<br />
den ersten Blick ganz unphilosophisch – alle<br />
Überlegungen zurückgelassen werden und <strong>der</strong><br />
Lesende eingeladen wird, durch ein Tor zu treten.<br />
Von dort gelangt man – wohin? »Du weißt es<br />
nicht? Ins Leben« (SE 472)<br />
Eigentlich ist dieses Bauprinzip sehr einfach und<br />
schon oft besprochen. 5<br />
<strong>Der</strong> Titel gibt es schon an:<br />
ein Stern. Rosenzweig schreibt in seinem Brief an<br />
seine Briefpartnerin Margarete Rosenstock-<br />
Huessy, genannt Gritli, dass ihm immer dann,<br />
wenn er eine Schreibhemmung hat und ihm nicht<br />
recht einfallen will, wie er argumentativ weiterfahren<br />
soll, die Form <strong>der</strong> Argumentation in den<br />
Sinn kommt. Sie ist die Form eines Sterns, <strong>der</strong><br />
zweimal drei Ecken hat.<br />
Diese Ecken stehen in dem Dreieck, dessen Spitze<br />
nach oben zeigt, für den Menschen, für die Welt<br />
und für Gott, also für die drei Grundbegriffe <strong>der</strong><br />
drei metaphysicae speciales, die die drei letzten<br />
Einheitspunkte aller Realität sind. Im an<strong>der</strong>en<br />
Dreieck – das mit <strong>der</strong> Spitze nach unten – stehen<br />
die Ecken für die drei Grundakte <strong>der</strong> Zuwendung<br />
Gottes an die Welt: für die Schöpfung, die Offenbarung<br />
und die Erlösung. Im SE geht es dann<br />
eigentlich um den Auf- und Nachweis <strong>der</strong> These,<br />
dass man die drei Grundbegriffe Gott, Welt und<br />
Mensch nur dann angemessen begreift, wenn<br />
man sie in das Wechselverhältnis stellt, das zwischen<br />
ihnen pulsiert: zwischen Gott und Welt<br />
pulsiert die Schöpfung, zwischen Gott und<br />
Mensch die Offenbarung und zwischen dem<br />
Menschen und <strong>der</strong> Welt die Erlösung.<br />
Das aber heißt, diese Begriffe zu verlebendigen,<br />
ihnen ihren »Sitz im Leben« zurückgeben – und<br />
das wie<strong>der</strong>um heißt für unseren Zusammenhang:<br />
sie dem »System <strong>der</strong> Philosophie« zu entreißen<br />
und dem Leben neu zur Verfügung zu stellen.<br />
Denn – so die Diagnose von Rosenzweig – die<br />
Philosophie versteht und weiß nichts vom Leben.<br />
Sie weiß ja nicht einmal dessen Wichtigstes: dass<br />
es vergehen muss. Sie negiert die Faktizität des<br />
Todes einfach und gaukelt ihren Adressaten vor,<br />
dass das Eigentliche des Lebens im Bleibend-<br />
Allgemeinen liegt. Sie betrügt uns um die »Angst<br />
des Irdischen...., indem sie den blauen Dunst<br />
ihres Allgedankens um das Irdische webt« (SE 4)<br />
– und beraubt sich und den Menschen, <strong>der</strong> eine<br />
solche Philosophie treibt, <strong>der</strong> Möglichkeit, von<br />
diesem einzig möglichen Startpunkt aus dorthin<br />
zu gelangen, wo <strong>der</strong> Weg <strong>der</strong> Argumentation des<br />
SE letztlich dann doch hinführt: »ins Leben«.<br />
Wer so argumentiert, hält von <strong>der</strong> Philosophie<br />
eigentlich nicht viel. Sie dient ihm bestenfalls als<br />
negative Kontrastfolie, um davon das Eigentliche,<br />
Wahre und Richtige abzuheben. Sie ist exemplarische<br />
Fehlkonstruktion par excellence – und als<br />
solche ein pädagogisches Mittel, um zu zeigen,<br />
wie man es nicht machen soll, wenn man es<br />
richtig machen will.