epd Dokumentation online - Der Deutsche Koordinierungsrat der ...
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Teilen des SE bereits geleistet hatte: sie tendiert<br />
zur Auflösung ihrer selbst. Das zeigt sich an folgenden<br />
drei systematischen Stellen.<br />
� Judentum und Christentum sind – erstens –<br />
sauber getrennte Religionen. Wie wackelig diese<br />
Trennbarkeit aber ist, sieht man, wenn man diese<br />
Trennung einmal – rein als Gedankenexperiment<br />
– weiterführt. Dann lebt jede Religion ihre Funktion:<br />
das Judentum gewissermaßen als geschlossenes<br />
Kloster und das Christentum als missionarischer<br />
Verein. In dieser getrennten Form kann nur<br />
das Judentum gewissermaßen autark leben. Das<br />
Christentum braucht, um von <strong>der</strong> Erlösung vollumfänglich<br />
zu wissen, das Judentum. Es braucht<br />
das Judentum, das ihm – um in <strong>der</strong> Sprache <strong>der</strong><br />
Liturgie zu bleiben, mit <strong>der</strong>en Hilfe Rosenzweig<br />
die jeweilige Gestalt von Erlösungsvorwegnahme<br />
herausarbeitet, die für Judentum bzw. für Christentum<br />
typisch ist – vom Jom Kippur erzählt, von<br />
dem das Christentum aus sich heraus keine (liturgische)<br />
Ahnung hat. Aus sich kann es von <strong>der</strong><br />
Vollständigkeit faktischer Erlösung und ihrer<br />
Vorwegnahme in <strong>der</strong> Liturgie eigentlich gar nichts<br />
wissen. Denn es feiert den Jom Kippur nicht.<br />
Daraus wird klar: zur sauber abgrenzenden Komplementarität<br />
von Judentum und Christentum<br />
kommt ergänzend hinzu die klare Verwiesenheit<br />
des Christentums, sofern es an<strong>der</strong>s als das Judentum<br />
sein soteriologisches Wissens nicht vollständig<br />
seinen eigenen Vollzügen entnehmen<br />
kann. So aber gerät die saubere funktionalen<br />
Trennung zwischen Judentum und Christentum<br />
ihrerseits durch diese einseitige Abhängigkeit des<br />
Christentums vom Judentum im Bereich letzter<br />
Heilsvergewisserung in eine Schwebe: die Aufrechterhaltung<br />
dieser Trennung ist davon abhängig,<br />
dass das Christentum mit dem ihm inhärenten<br />
Wi<strong>der</strong>spruch so umgeht, dass die Trennung<br />
bestehen bleibt. Es muss in klarer Unterscheidung<br />
vom Judentum die Erlösung in die Welt hinaustragen,<br />
und kann doch nie ohne Rückgriff auf das<br />
Judentum auch nur erahnen, ob diese Erlösung je<br />
zu vollendeter Endgestalt gelangen wird. Die<br />
letzte Gestalt ist Gott selbst. Die Vollendung aber<br />
ist das, was nur die jüdische Liturgie für diejenigen<br />
als Botschaft in sich enthält, die den Kreis<br />
ihrer jährlichen Festfolge auch wirklich mitgehen.<br />
Um hoffen zu können, dass das, was sie <strong>der</strong> Welt<br />
bringen sollen – die Erlösung –, vollendet werden<br />
wird, dürfen die Christen die Grenze nicht beachten,<br />
die sie in einem an<strong>der</strong>en Zusammenhang<br />
aber doch in Kraft setzen, nämlich dann, wenn<br />
sie (an<strong>der</strong>s als die Juden) die Völker zur Erlösung<br />
führen. <strong>Der</strong> Ernst <strong>der</strong> Mitarbeit an <strong>der</strong> Erlösung<br />
verlangt doch die Antizipation, dass die Arbeit<br />
schließlich zur Vollendung gelangen wird. In dem<br />
<strong>epd</strong>-<strong>Dokumentation</strong> 10/2007 21<br />
Maß also, in dem dem Christentum <strong>der</strong> Auftrag<br />
zur Tat <strong>der</strong> Missionierung zuwächst, in diesem<br />
Maß wächst auch <strong>der</strong> Druck zu begreifen und<br />
verständlich zu machen, was Erlösung in ihrer<br />
vollendeten Gestalt ist und wie sie vollendet aussieht<br />
– und damit wächst <strong>der</strong> Druck, die funktional<br />
gesetzte Grenze aus Gründen erklären<strong>der</strong><br />
Selbstvergewisserung zu überschreiten und sich<br />
dem Judentum in seiner liturgischen Gestalt zuzuwenden.<br />
� Man mag – zweitens – diese innere Gegenläufigkeit<br />
in <strong>der</strong> systematischen Zuordnung von<br />
Judentum und Christentum noch mit dem Hinweis<br />
abschwächen können, dass es sich dabei ja<br />
um eine Unterscheidung von Tun und Erkennen<br />
handelt. Mithin bleibt die funktionale Verschiedenheit<br />
auf <strong>der</strong> Ebene des Tuns selbst unhintergangen.<br />
<strong>Der</strong> zweite systematische Antagonismus<br />
trägt aber genau dieser Unterscheidung nicht<br />
mehr Rechnung. Damit meine ich folgendes.<br />
Das Judentum ist zwar funktional sauber vom<br />
Christentum getrennt und insofern können beide<br />
Religionen ihren Geschäften auf <strong>der</strong> Ebene des<br />
Tuns unabhängig voneinan<strong>der</strong> nachkommen. Die<br />
klare Trennung <strong>der</strong> Funktionen sorgt dafür, dass<br />
sich beide bei ihrem Einsatz für die Erlösung<br />
nicht in die Quere kommen. Sie sorgt aber auch<br />
dafür, dass die Hoffnung auf die Erreichung des<br />
Erlösungsziels davon abhängig ist, dass <strong>der</strong> an<strong>der</strong>e<br />
seinen ureigenen Auftrag erfüllt – und dies<br />
möglichst gut und rasch und effizient. Um an das<br />
Ziel zu gelangen, für das man selber arbeitet,<br />
braucht man also den an<strong>der</strong>en und die Gewissheit,<br />
dass er seinen Weg gut geht. Aber das<br />
Christentum beschränkt sich – so Rosenzweig –<br />
nicht auf seine Aufgabe, die Völker <strong>der</strong> Welt zu<br />
missionieren. <strong>Der</strong> wechselseitigen Abstützung<br />
steht etwas Grundsätzliches entgegen: <strong>der</strong> christliche<br />
Antijudaismus. Die Diagnose Rosenzweigs<br />
ist eindeutig: dieses Gift hat das Christentum<br />
solange, solange es das Judentum gibt – und nur<br />
deswegen, weil es das Judentum gibt. Denn<br />
durch seine Existenz erinnert das Judentum das<br />
Christentum dauernd an dessen Inferiorität als<br />
einer Religion, die an<strong>der</strong>s als das Judentum die<br />
Vollendung <strong>der</strong> Erlösung nicht in ihrem Innersten<br />
– d.i. in seiner Liturgie – bereits austrägt. Es gibt<br />
mit an<strong>der</strong>en Worten einen immanenten Antagonismus<br />
in <strong>der</strong> Systematik <strong>der</strong> Zuordnung <strong>der</strong><br />
beiden Religionen. Die Systematik ist so gebaut,<br />
dass beide die Existenz des an<strong>der</strong>en brauchen,<br />
um auf Erlösung hoffen zu können – und<br />
zugleich so, dass die bloße Existenz des Judentums<br />
für das Christentum einen ständigen Stachel<br />
darstellt, <strong>der</strong> das Christentum dazu antreibt, diese