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<strong>epd</strong>-<strong>Dokumentation</strong> 10/2007 31<br />
Zeit ists ... – Vorüberlegungen zu Bildungsstandards für den<br />
jüdischen Religionsunterricht im Anschluss an Franz Rosenzweig<br />
Von Prof. Dr. Daniel Krochmalnik, Hochschule für Jüdische Studien, Heidelberg<br />
Franz Rosenzweig (1886–1929) – Leben und<br />
Werk als Herausfor<strong>der</strong>ung für Juden und<br />
Christen heute. Tagung <strong>der</strong> Buber-<br />
Rosenzweig-Stiftung e.V. und <strong>der</strong> Konrad-<br />
Adenauer-Stiftung e.V., Wesseling,<br />
16.–18.10. 2006<br />
»Zeit ists ...« – so hat Franz Rosenzweig seine<br />
»Gedanken über das jüdische Bildungsproblem<br />
des Augenblicks« überschrieben. 1<br />
Mit dem Vers<br />
»Zeit ists zu Handeln für den Herrn – sie zernichten<br />
deine Lehre« (Psalm ) wurde in <strong>der</strong> jüdi-<br />
119,126<br />
schen Tradition <strong>der</strong> »Toranotstand« ausgerufen.<br />
Viele Anregungen aus diesem »Schriftchen«, das<br />
anno 1917 an <strong>der</strong> Front des 1. Weltkriegs entstand,<br />
sind auch heute noch, in einer unvergleichlich<br />
tieferen jüdischen Bildungskrise, nicht<br />
verjährt. Noch immer gilt Franz Rosenzweigs<br />
Einsicht: »Das Problem einer jüdischen Erziehung<br />
verengert sich auf dem Boden <strong>der</strong> (...) herrschenden<br />
deutschen Zustände zu dem Problem des<br />
jüdischen Religionsunterrichts« (ebd. S. 56), ja,<br />
sie gilt noch weit mehr als damals. Für Franz<br />
Rosenzweig sollte z. B. das Schulzimmer nur ein<br />
»Vorraum« zur Synagoge sein, wo die »jüdische<br />
Welt« erst leibhaftig erscheint (ebd. S. 58f.).<br />
Doch nur ein Jahr, nachdem seine bildungspolitische<br />
Programmschrift 1937 unter seinen Kleine-<br />
Zunächst müssen wir fragen, ob es überhaupt<br />
wünschenswert o<strong>der</strong> auch nur möglich ist, nationale<br />
Bildungsstandards für den jüdischen Religionsunterricht<br />
zu formulieren? Beson<strong>der</strong>s <strong>der</strong><br />
Hinweis auf die Richtungen des Judentums ist<br />
ein empfindlicher Punkt, denn schließlich haben<br />
auch Katholiken und Protestanten keine gemeinsamen<br />
Standards. Mir scheint aber, dass es diesseits<br />
<strong>der</strong> konfessionellen und institutionellen<br />
Verzweigungen gemeinsame Wurzeln und einen<br />
starken Stamm aller Richtungen des Judentums<br />
gibt und ein allseitiges Interesse besteht, zu <strong>der</strong>en<br />
Wachstum beizutragen. Im Übrigen hat sich<br />
die Situation seit dem ersten Auftreten <strong>der</strong><br />
Richtungen des Judentums im 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts<br />
grundlegend geän<strong>der</strong>t. Damals bauten die Reformer<br />
auf eine feste traditionelle Form und<br />
Jüdische Bildungsstandards?<br />
ren Schriften in Berlin wie<strong>der</strong> erschien, wurden<br />
im Novemberpogrom nach <strong>der</strong> Zählung des Synagogue<br />
Memorial in Jerusalem rund 1500 deutsche<br />
Synagogen und Betstuben zerstört. Wir<br />
können uns nur in einer einzigen Hinsicht mit<br />
dem damaligen deutschen Judentum messen –<br />
wir wissen um die unvergleichliche Größe des<br />
Verlustes. Man muss wie<strong>der</strong>holen, was Hermann<br />
Levin Goldschmidt schrieb, dass Kritikern wie<br />
Rosenzweig, »die kostbare Seltenheit, gefährdete<br />
Vergänglichkeit des von Bildung satten, von Büchern<br />
übersättigten und an Gelehrten reichen,<br />
von Wissen randvollen Jahrzehnts zwischen 1920<br />
und 1930 nicht bewusst« war 2<br />
. Wenn er unter<br />
solchen ungleich günstigeren Bedingungen den<br />
»Toranotstand« ausrief, was sollen dann wir tun?<br />
Aber es ist eben nicht die Zeit zu klagen, son<strong>der</strong>n<br />
zu handeln und dazu können wir von<br />
Franz Rosenzweig viel lernen. Wir wollen seine<br />
programmatischen Ideen allerdings nicht wie<strong>der</strong>holen<br />
und bildungsgeschichtlich einreihen.<br />
Das hat Regina Burkhardt-Riedmiller, die bei <strong>der</strong><br />
Tagung auch zu Wort kam, in ihrer Dissertation<br />
bereits vorbildlich getan. 3<br />
Wir setzen vielmehr<br />
seinen Weg fort, in <strong>der</strong> Gewissheit, dass er uns<br />
zu nichts an<strong>der</strong>em geraten hätte, und sagen mit<br />
Emmanuel Lévinas, Franz Rosenzweig ist in<br />
dieser Schrift zu häufig gegenwärtig, um zitiert<br />
zu werden. 4<br />
formten sie in <strong>der</strong> einen o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Weise um.<br />
Das ist heute ganz an<strong>der</strong>s! Die meisten Juden in<br />
<strong>der</strong> Bundesrepublik stammen inzwischen aus<br />
»Gusland« und sind in ihrer großen Mehrheit<br />
über ihr Judentum völlig uninformiert.<br />
Alle Richtungen des Judentums stehen im Grunde<br />
genommen vor <strong>der</strong> gleichen Herausfor<strong>der</strong>ung:<br />
die Schwundform des heutigen Judentums in<br />
Deutschland zu überwinden. In dieser Situation<br />
behilft sich je<strong>der</strong> wie er kann: Es kommt schon<br />
vor, dass ein liberale Rabbiner seine Gemeinde<br />
mit Klezmermusik und chassidischen Tänzen in<br />
Schwung bringt o<strong>der</strong> eine konservative Rabbinerin<br />
das betont revivialistische Bildungskonzept<br />
Franz Rosenzweigs aufgreift. In <strong>der</strong> Schule insbeson<strong>der</strong>e<br />
brauchen wir eine konfessionsneut-