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epd Dokumentation online - Der Deutsche Koordinierungsrat der ...

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6 10/2007 <strong>epd</strong>-<strong>Dokumentation</strong><br />

zu errichten, um so Wege zu weisen, wie Juden<br />

in <strong>der</strong> Diaspora und in <strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>ne ein bewusstes<br />

jüdisches Leben führen können. So wurden<br />

neben den obligaten Hebräisch-Kursen und den<br />

großen allgemeinbildenden Vorträgen und Vorlesungen<br />

auch viele Arbeitskreise über religiöse<br />

und ethische Fragen in Wissenschaft und Alltag<br />

angeboten. Zu den großen Vortragenden am Freien<br />

Jüdischen Lehrhaus zählten neben Franz Rosenzweig<br />

selbst <strong>der</strong> Frankfurter Rabbiner Nehemia<br />

A. Nobel, <strong>der</strong> Biochemiker Eduard Strauß,<br />

<strong>der</strong> Mediziner Richard Koch, <strong>der</strong> Jurist Eugen<br />

Mayer und <strong>der</strong> Religionsphilosoph Martin Buber.<br />

Von den jüngeren Lehrenden sind vor allem<br />

Siegfried Kracauer, Rudolf Hallo, Ernst Simon,<br />

Nahum N. Glatzer, Martin Goldner und Erich<br />

Fromm zu nennen. 11<br />

Wenn auch die großen Erwartungen, die Rosenzweig<br />

mit dieser Neukonzeption verband, nicht<br />

gleich im vollem Umfang in Erfüllung gingen –<br />

zumal Rosenzweig gerade nur zwei Jahre die<br />

Leitung innehatte –, so wurde doch die Initiative<br />

und Konzeption Vorbild zu einer Reihe von Folgeeinrichtungen<br />

nach 1933 in <strong>der</strong> Zeit <strong>der</strong> Verfolgung<br />

<strong>der</strong> Juden in Deutschland. Nach dem Zweiten<br />

Weltkrieg wurden nach dem Vorbild des Freien<br />

Jüdischen Lehrhauses in Frankfurt a. M. ähnliche<br />

Einrichtungen in den Vereinigten Staaten<br />

von Nordamerika und in einigen europäischen<br />

Län<strong>der</strong>n aufgebaut.<br />

5. Anfang 1922 wurde Franz Rosenzweig als<br />

Spätfolge einer Malariaerkrankung im Krieg von<br />

ersten Lähmungserscheinungen heimgesucht, die<br />

sich als eine zum Tode führende amyotrophe<br />

Lateralsklerose herausstellten. Die Lähmung<br />

schritt rasch voran, ab Sommer 1922 konnte Rosenzweig<br />

seine Mansardenwohnung nicht mehr<br />

verlassen. Im Oktober musste er die Leitung des<br />

Freien Jüdischen Lehrhauses abgeben. Als im<br />

Dezember 1922 auch die Schreib- und im Mai<br />

1923 die Sprachfähigkeit versagte, konnte Rosenzweig<br />

nur noch über die Augen und Augenli<strong>der</strong><br />

mit <strong>der</strong> Außenwelt kommunizieren. Seine Frau<br />

zeigte ihm auf einer Scheibe die Buchstaben des<br />

Alphabets und er signalisierte seine Zustimmung.<br />

Neben einer umfangreichen Korrespondenz vornehmlich<br />

über jüdische Glaubensfragen entstand<br />

in dieser Zeit <strong>der</strong> grundlegende philosophische<br />

Aufsatz »Das neue Denken. Einige nachträgliche<br />

Bemerkungen zum ‚Stern <strong>der</strong> Erlösung‘« (1925).<br />

Seine Hauptarbeiten in dieser Zeit waren jedoch<br />

seine Übersetzungen <strong>der</strong> Hymnen und Gedichte<br />

des hebräischen Dichters Jehuda Halevi aus dem<br />

Mittelalter (GS IV, 1), die 1924 und in erweiterter<br />

Auflage 1926 erschienen. Seit 1924 arbeitete er<br />

gemeinsam mit Martin Buber, <strong>der</strong> für Rosenzweig<br />

in diesen Jahren zum engsten Vertrauten und<br />

Freund geworden war, an <strong>der</strong> »Verdeutschung<br />

<strong>der</strong> Schrift«. Die fünf Bücher <strong>der</strong> Weisung erschienen<br />

ab 1925 (GS IV, 2); Martin Buber hat<br />

nach Rosenzweigs Tod die Übersetzungsarbeit<br />

fortgesetzt, bis endlich 1961 die letzten Teile <strong>der</strong><br />

hebräische Bibel ins <strong>Deutsche</strong> übersetzt erscheinen<br />

konnte. 12<br />

Im Mai 1923 verlieh <strong>der</strong> liberale Rabbiner Leo<br />

Baeck auf Vorschlag des inzwischen verstorbenen<br />

Rabbiners Nehemia A. Nobel Franz Rosenzweig<br />

die Rabbinerwürde mit dem Titel Maurenu, unser<br />

Lehrer. Franz Rosenzweig nahm diese Ehrung<br />

insbeson<strong>der</strong>e im Hinblick auf seinen Sohn Rafael,<br />

dessen Lehrer er nicht mehr sein konnte, gerührt<br />

an. Fast jeden Schabbat, zu dem zehn jüdische<br />

Gläubige zusammenkamen, wurde an Rosenzweigs<br />

Krankenlager in diesen Jahren ein Gottesdienst<br />

abgehalten.<br />

Mit ungeheurer geistiger Kraft und gläubiger Hingabe<br />

hat Franz Rosenzweig, gestützt durch die<br />

aufopfernde Liebe seiner Frau Edith und begleitet<br />

von vielen Freunden und Verehrern, sieben Jahre<br />

körperlicher Hilflosigkeit und Leiden ertragen.<br />

Am 10. Dezember 1929 ist er zwei Wochen vor<br />

seinem 43. Geburtstag von diesen Leiden erlöst<br />

worden.<br />

II. Das Gespräch über Vernunft und Offenbarung mit Hermann Cohen<br />

1. Als Franz Rosenzweig im Herbst 1913 an den<br />

Vorlesungen und Seminaren des 71jährigen Hermann<br />

Cohen teilnimmt, die dieser an <strong>der</strong> Lehranstalt<br />

für die Wissenschaft des Judentums hält, ist<br />

<strong>der</strong> junge 27jährige Franz Rosenzweig bereits ein<br />

ausgeprägter, eigenständiger Denker. An<strong>der</strong>thalb<br />

Jahre vorher war er mit einer Arbeit über Hegels<br />

politische Philosophie von <strong>der</strong> Philosophischen<br />

Fakultät <strong>der</strong> Universität Freiburg promoviert wor-<br />

den, und nun ist er dabei, dieses Thema zu einer<br />

umfangreichen Habilitationsschrift Hegel und <strong>der</strong><br />

Staat auszubauen, die bereits im Sommer 1914<br />

nahezu fertig ist, aber nicht nur <strong>der</strong> Ausbruch des<br />

Ersten Weltkriegs, son<strong>der</strong>n auch seine Judesein<br />

steht einer Habilitation im Wege.<br />

Nach seinem Entschluss Jude zu bleiben, besucht<br />

Franz Rosenzweig die Vorlesungen und Seminare

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