epd Dokumentation online - Der Deutsche Koordinierungsrat der ...
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III.1 [319] An Eugen Rosenstock, 7.11.1916<br />
L. R., heute früh erfuhr und sah ich, daß ein Rosenstock<br />
das härteste aller Hölzer ist, da musste ich an<br />
Sie denken und richtig ein paar Stunden später<br />
waren Ihre beiden Briefe da.<br />
Nun ja, also jetzt ist es <strong>der</strong> ganz harte Rosenstock,<br />
und jetzt ist es wohl nicht mehr schwer für mich,<br />
Ihnen zu schreiben. ...<br />
Sie haben ja recht, in allem, was Sie in Ihrer rabies<br />
theologica äußern. Ich meine wirklich, Sie müßten<br />
wissen, daß ich das alles weiß. Und auch weiß, daß<br />
Sie das Judentum so sehen müssen. ... Dennoch<br />
gibt es einen Punkt, über den die christliche rabies<br />
so wenig wie die jüdische Rabulistik herausgehen<br />
sollte, obwohl sie es beide, wenn sie einmal im<br />
Gang sind, gern tun. Denn mögen Sie fluchen, mögen<br />
Sie donnern, mögen Sie sich kratzen so viel Sie<br />
wollen, Sie werden uns doch nicht los, wir sind die<br />
Laus in Eurem Pelz ..., wir sind <strong>der</strong> innere Feind –<br />
verwechseln Sie uns nicht mit dem äußeren! Die<br />
Feindschaft mag erbitterter sein müssen als die<br />
gegen den äußeren Feind, aber gleichwohl – wir und<br />
Ihr wir sind in den gleichen Grenzen, im gleichen –<br />
Reich. ...<br />
III.2 [592] An Mawrik Kahn, Kassel, 26.2.1919<br />
Lieber Herr Kahn ...<br />
Das Jüdische ist keine Gefühlssache. Das ist eine<br />
Verwechslung mit dem Christlichen. Das ist nämlich<br />
Gefühlssache. Das »Gefühl« haben wir im »Blut«. ...<br />
IV. 1 [482 ] An Helene Sommer, 16.1.1918<br />
Hochverehrte liebe Frau Sommer, Ihr Brief und <strong>der</strong><br />
Ihres Herrn Gemahls an meine Eltern ist mich nach<br />
Mazedonien und wie<strong>der</strong> nach dem Westen gereist,<br />
sodaß ich ihn erst vor ein paar Tagen erhielt. Ich<br />
hatte eigentlich darauf Lust, auf dem Rückweg Sie<br />
in Frankfurt zu überfallen, aber daraus wird ja doch<br />
nichts. So schreibe ich lieber – und bitte gleich im<br />
voraus um Nachsicht für etwaige Schärfen, ohne die<br />
es – fürchte ich – nicht abgehen wird. Ich bin ja<br />
angegriffen und muß mich also meiner Haut wehren.<br />
Meiner Haut und vielleicht – meines Herzens. ...<br />
...: ich unterschreibe ganz das Goethesche Lob <strong>der</strong><br />
Intoleranz; aber beides, Duldung und Kampf, hat<br />
seine Zeit; wo die Zeit zum Geisterkampf noch nicht<br />
III. Über Judentum und Christentum<br />
IV. Über Judentum und Deutschtum<br />
<strong>epd</strong>-<strong>Dokumentation</strong> 10/2007 65<br />
Das was die Christen »Erlebnis« nennen und worauf<br />
sie für sich mit Recht solchen Wert legen, dieses<br />
persönliche Erlebnis des Einzelnen – das haben wir<br />
nicht nötig. Wir haben das, was <strong>der</strong> Christ erst im<br />
Leben eines Tages erleben muß, schon von Geburt<br />
an und durch die Geburt, im Blut. Das »Erlebnis«<br />
liegt vor unserer Geburt irgendwann in <strong>der</strong> Vergangenheit<br />
unseres Volks. Wollen wir »erleben« wie <strong>der</strong><br />
Christ »erlebt«, so müssen wir jenen Augenblick <strong>der</strong><br />
Vergangenheit nacherleben: »Je<strong>der</strong> sehe sich so an,<br />
als ob er selbst aus Ägypten gezogen wäre«. Dies<br />
Wort, das Sie aus <strong>der</strong> Peßach-Haggada kennen, ist<br />
genau so jüdisch, wie das umgekehrte, etwa das<br />
Wort des Cherubinischen Wan<strong>der</strong>smanns, ‚Wär‘<br />
Christus nur allein in Bethlehem geboren und nicht<br />
auch heut und hier, du bliebest doch verloren«,<br />
christlich ist. Christlich ist das Hineinreißen des<br />
Vergangenen in das heutige Erlebnis, jüdisch das<br />
Hineingehen in das vergangene Erlebnis, das Sich-<br />
Erinnern.<br />
Daraus folgt, was wir zu tun haben. Nicht warten,<br />
daß das Erlebnis in uns aufwacht, son<strong>der</strong>n zurückgehen<br />
in das schon erlebte Erlebnis unseres Bluts.<br />
Keine Sentimentalität also! keine Sorge um die<br />
Keuschheit des Erlebnisses – das ist alles christlich;<br />
<strong>der</strong> Christ muß mit <strong>der</strong> כונה [K‘vono: »Andacht«])<br />
anfangen, wir fangen ganz unsentimental an mit<br />
מצוה [Mizwa »Gebot«]) bzw. mit תורה תלמוד [Talmud<br />
Tora: »Toralernen«) in irgendeiner Form; die כונה<br />
kommt dann schon.<br />
reif ist, da ist die Geisterduldung am Platz; auch die<br />
Weltgeschichte hat ihren Rhythmus von Schlaf und<br />
Wachen wie alle einzelnen Geschöpfe; und vielleicht<br />
gibt es Gegensätze, <strong>der</strong>en endgültiger Austrag bis<br />
zum »Jüngsten Tag« vertagt werden muß, vielleicht<br />
grade die größten Gegensätze, in denen <strong>der</strong> langatmigste<br />
Rhythmus schlägt: die ganze Geschichte<br />
die Nacht und erst das »Ende <strong>der</strong> Geschichte« <strong>der</strong><br />
Tag. So meine ich ist grade dieser Gegensatz von<br />
Judentum und Christentum, <strong>der</strong> für uns deutsche<br />
Juden praktisch wird als »Deutschtum und Judentum«.<br />
Wir leben ihn, aber wir sprechen ihn nicht aus.<br />
Wir lassen das »o<strong>der</strong>« dem lieben Gott und pflegen<br />
selber das »und« erhalten wir, wenn an<strong>der</strong>s wir<br />
Juden bleiben; denn ohne unser Pflegen des »und«<br />
würde Gott selbst nicht (ich weiß was ich sage, und