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epd Dokumentation online - Der Deutsche Koordinierungsrat der ...

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<strong>epd</strong>-<strong>Dokumentation</strong> 10/2007 23<br />

»Hier wird ‚gefragt', ‚gezweifelt' und ‚gewünscht'.« – Franz<br />

Rosenzweigs »neues Lernen« im Freien Jüdischen Lehrhaus<br />

Von Dr. Regina Burkhardt-Riedmiller<br />

Franz Rosenzweig (1886–1929) – Leben und<br />

Werk als Herausfor<strong>der</strong>ung für Juden und<br />

Christen heute. Tagung <strong>der</strong> Buber-Rosenzweig-<br />

Stiftung e.V. und <strong>der</strong> Konrad-Adenauer-Stiftung<br />

e.V., Wesseling, 16.–18.10. 2006<br />

»Alle jene Verbonzten und alle, die es werden<br />

wollen, jene jungen und alten Greise, sie werden<br />

sich einfach nicht hinwagen. Denn hier wird gefragt.<br />

Und sie wollen Kundgebungen. Hier wird<br />

gezweifelt. Und sie wollen Programme. Hier wird<br />

gewünscht. Und sie wollen For<strong>der</strong>ungen. <strong>Der</strong><br />

Bonze wird sich genauso wenig unter die Schüler<br />

verirren – es sei denn, er »kehre um« und tue sein<br />

Mandarinenkleid von sich – wie <strong>der</strong> Vortragslöwe<br />

unter die Lehrer.« 1<br />

Diese Worte stammen aus Rosenzweigs Schrift<br />

»Bildung und kein Ende«, <strong>der</strong> programmatischen<br />

Vorbereitung des »neuen Lernens« Hier sind bereits<br />

einige Wesenszüge des Freien Jüdischen<br />

Lehrhauses enthalten: das Fragen als zentrale<br />

Lernmethode, die gemeinsame Suchbewegung<br />

von Lehrern und Schülern, ausgehend von <strong>der</strong><br />

eigenen Lebenssituation, <strong>der</strong> Begriff <strong>der</strong> Umkehr<br />

und <strong>der</strong> Entwurf einer neuen Lehrerfigur<br />

Bildung und kein Ende ist geschrieben 1920 in<br />

Kassel, entstanden nach <strong>der</strong> Fertigstellung des<br />

Stern <strong>der</strong> Erlösung und <strong>der</strong> Verlobung mit Edith<br />

Hahn. <strong>Der</strong> Stern endet ja mit den prophetischen<br />

Worten »ins Leben« es geht also um die Bewährung<br />

<strong>der</strong> Wahrheit im Leben. Für Rosenzweig<br />

sollte nun die Praxis den Vorrang vor <strong>der</strong> Theorie<br />

haben. Er hoffte durch die Heirat auf ein Leben<br />

und Lehren als Vater eines jüdischen Hauses und<br />

als Leiter des »Freien Jüdischen Lehrhauses.«<br />

Damit verbunden war seine Absage an die akademische<br />

Wissenschaft: Sein Doktorvater Friedrich<br />

Meinecke hatte ihm angeboten zu habilitieren.<br />

Rosenzweig lehnte das Angebot einer akademischen<br />

Karriere ab. Seit <strong>der</strong> Umkehr von 1913, die<br />

ihn von einem Weg <strong>der</strong> Unwirklichkeiten weggeführt<br />

habe sei er aus einem durchaus habilitierbaren<br />

Historiker zu einem durchaus unhabilitierbaren<br />

Philosophen geworden. Sein Leben<br />

werde bestimmt vom Judentum:<br />

Rosenzweig schreibt an Friedrich Meinecke: »Ich<br />

frage nur noch, wo ich gefragt werde. Von Menschen<br />

gefragt werde, nicht von Gelehrten, nicht<br />

von ‚<strong>der</strong> Wissenschaft'.« (30.8.1920) 2<br />

Mit <strong>der</strong> Absage an die akademische Wissenschaft<br />

und <strong>der</strong> Entscheidung, in <strong>der</strong> Erwachsenenbildung<br />

tätig zu sein, stand er nicht allein. Rosenzweig<br />

gehörte dem sogenannten Patmoskreis<br />

an. Er gilt als eine <strong>der</strong> bedeutendsten Erneuerungszellen<br />

<strong>der</strong> deutschen und jüdischen Erwachsenenbildung.<br />

Und als kritisches Gewissen <strong>der</strong><br />

freien Weimarer Volksbildung . Zu diesem Kreis<br />

zählten neben Rosenzweig Eugen Rosenstock-<br />

Huessy, Eduard Strauß, Werner Picht- Curtius,<br />

Rudolf und Hans Ehrenberg. In diesem Umkreis<br />

wurde Volksbildung zu einem großen Teil als<br />

Hilfe zur Einübung in ein glaubwürdiges Leben<br />

durch verbindlich lebende Menschen verstanden.<br />

Eugen Rosenstock hatte z.B. die Berufung<br />

<strong>der</strong> Juristischen Fakultät Leipzig abgelehnt,<br />

stattdessen arbeitete er bei <strong>der</strong> Werkzeitung <strong>der</strong><br />

Daimler-Benz Werken , plante und begründete<br />

die Akademie <strong>der</strong> Arbeit in Frankfurt.<br />

<strong>Der</strong> Schrift »Bildung und kein Ende« vorausgegangen<br />

ist eine große Enttäuschung: <strong>Der</strong> Kerngedanke<br />

von »Zeit ists«, nämlich die Personalunion<br />

Forscher-Lehrer, war nicht umgesetzt worden.<br />

Mit diesem – im übrigen orthodoxe, liberale und<br />

zionistische Züge tragenden- Reformkonzept des<br />

ungenügenden jüdischen Religionsunterrichts an<br />

höheren Schulen wollte Rosenzweig in eine eigene,<br />

<strong>der</strong> übrigen Bildungswelt gegenüber selbständige<br />

jüdische Sphäre einführen. Sein Entwurf des<br />

lernenden Lehrers- vielleicht auch im Rückbezug<br />

auf das lebenslange Lernen <strong>der</strong> jüdischen Lerntradition-<br />

ist für all seine pädagogischen Schriften<br />

kennzeichnend und inspirierend bis heute. Dieser<br />

Lehrer ist akademisch gebildet, gleichzeitig Mitglied<br />

<strong>der</strong> Akademie für die Wissenschaft des Judentums<br />

und steht mit seinen Schülern und mit<br />

an<strong>der</strong>en Akademiemitglie<strong>der</strong>n in anregendem<br />

Austausch. Die Vision des sich weiterentwickelnden,<br />

gut bezahlten und gesellschaftlich angesehenen<br />

Lehrers, eine Identifikationsfigur für die heranwachsende<br />

Jugend, steht in starkem Kontrast<br />

zur Realität des schlecht honorierten, sozial wenig<br />

geachteten jüdischen Lehrers seiner Zeit. Rosenzweig<br />

war zwar mit »Zeit ists« als jüdischer<br />

Bildungspolitiker bekannt geworden. Aber bei<br />

aller positiven Würdigung stieß das Konzept des

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