epd Dokumentation online - Der Deutsche Koordinierungsrat der ...
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20 10/2007 <strong>epd</strong>-<strong>Dokumentation</strong><br />
tatsächlich die Heimat finden können, <strong>der</strong> sie die<br />
Worte entnehmen können, die sie brauchen, um<br />
dem Liebeswerben Gottes adäquat antworten zu<br />
können: das Judentum o<strong>der</strong> das Christentum.<br />
Rosenzweig arbeitet die Typologie bei<strong>der</strong> Religionsgemeinschaften<br />
heraus und zeigt, dass sie<br />
zwei gleichwertige Teilnehmer und Teilhaber an<br />
<strong>der</strong> Erlösungswirklichkeit sind. Die beiden Religionen,<br />
die Rosenzweig selber im SE nicht »Religionen«,<br />
son<strong>der</strong>n »-tümer« nennt, werden nach<br />
einer streng parallel geführten Systematik dargestellt.<br />
Das Prinzip dieser Systematik ist eine<br />
strenge Komplementarität: was <strong>der</strong> eine hat, hat<br />
<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e nicht – und braucht es auch nicht<br />
mehr, um Teil <strong>der</strong> ganzen Erlösungswirklichkeit<br />
zu sein. Zusammen stellen sie das Gesamt aller<br />
möglichen Bemühungen um die Erlösung <strong>der</strong><br />
Welt dar, <strong>der</strong>en Endgestalt schließlich Gott selber<br />
herbeiführen wird.<br />
Wie sieht diese komplementäre Typologie konkret<br />
aus? Rosenzweig entwickelt die Komplementarität<br />
von Judentum und Christentum im<br />
Ausgang von <strong>der</strong> Metapher des Sterns, jetzt aber<br />
nicht mehr auf Basis <strong>der</strong> geometrischen Form,<br />
son<strong>der</strong>n auf Basis <strong>der</strong> physikalischen Eigenschaft<br />
des Sterns als Gestirn am Himmel. Rosenzweig<br />
denkt hier an eine Sonne, genauer an die »Mitternachtssonne«.<br />
Eine solche Sonne hat eine unspektakuläre<br />
Eigenschaft: sie strahlt. Sie hat,<br />
wenn sie dies tut, innen einen leuchtenden Kern<br />
und sie hat Strahlen, die von diesem Kern aus<br />
nach draußen hinausgehen. <strong>Der</strong> Kern steht für<br />
das Judentum, die Strahlen für das Christentum.<br />
Wie Kern und Strahlen einan<strong>der</strong> brauchen, aber<br />
zwei verschiedene Sachen sind, so sind auch<br />
Judentum und Christentum aufeinan<strong>der</strong> bezogen,<br />
aber verschieden. Entsprechend komplementär<br />
sind alle weiteren Bestimmungen, mit denen Rosenzweig<br />
das Judentum und das Christentum<br />
voneinan<strong>der</strong> abgehoben und aufeinan<strong>der</strong> bezogen<br />
beschreibt. Ich bringe Bespiele.<br />
Das Judentum steht ruhend in sich, während das<br />
Christentum unaufhörliches Unterwegs-sein ist.<br />
Das Judentum hat zu sich selbst in seinen wesentlichen<br />
Ausprägungen ein einfaches Verhältnis,<br />
das Christentum hingegen ist bei allen wesentlichen<br />
Ausprägungen in sich doppelt. Das<br />
Judentum wird in einem geschichtsenthobenen<br />
liturgischen Jahr gelebt, das einen in sich geschlossenen<br />
Kreislauf darstellt und so symbolisch-kultisch<br />
die Erlösung vollendet verwegnimmt.<br />
Das Christentum hingegen hat seinen<br />
Auftrag in <strong>der</strong> Gestaltung geschichtlicher Realitäten<br />
auf die Erlösung hin, wobei es seine religiöse<br />
»Kraft« aus einem liturgischen Kreislauf nimmt,<br />
dessen kultische Symbolik sich nicht zu einem<br />
vollen Kreis schließt (dort fehlt <strong>der</strong> Versöhnungstag!)<br />
und insofern auch liturgisch belegt,<br />
dass es nie mit sich selbst ganz ist und immer nur<br />
zu an<strong>der</strong>em o<strong>der</strong> zu den An<strong>der</strong>en, nie aber zu<br />
sich selbst kommen kann, wenn es zu sich auf<br />
dem Weg ist.<br />
Man sieht schon an diesen kurzen Beschreibungen:<br />
Wo das Judentum durch die eine Eigenschaft<br />
charakterisiert wird, erhält das Christentum die<br />
dazu komplementäre Eigenschaft zugesprochen.<br />
Zusammen bilden Judentum und Christentum<br />
eine in sich geschlossene Ganzheit, die alle denkbaren<br />
Formen des liturgisch-antizipativen Erlösungshandelns<br />
vollständig abdeckt. <strong>Der</strong> systematische<br />
Grundgedanke liegt darin, dass <strong>der</strong> eine<br />
mit dem jeweils an<strong>der</strong>en zusammen dadurch zu<br />
einer vollständigen Ganzheit gelangt, dass <strong>der</strong><br />
jeweils an<strong>der</strong>e das gegenteilige Pendant darstellt.<br />
Dieses Pendant ist Teil einer Ganzheit, die ihre<br />
Einheitlichkeit daraus nimmt, dass es immer und<br />
nur zwei (gegensätzliche) Teile gibt, die zusammen<br />
diese Einheit ausmachen – so wie Strahlen<br />
und Kern das, was einen Stern ausmacht, komplett<br />
und vollständig beschreiben. Wie <strong>der</strong> Kern<br />
die Strahlen und die Strahlen den Kern zur Einheit<br />
eines Sterns ergänzen, so ergänzen sich Judentum<br />
und Christentum in ihrer funktionalen<br />
Ausdifferenzierung zur Einheit <strong>der</strong> Gestalt, in <strong>der</strong><br />
Erlösungshandeln wirksam wird. Als an <strong>der</strong> Herbeiführung<br />
des Reiches Gottes Mitarbeitende sind<br />
Judentum und Christentum jeweils integrale Teile<br />
<strong>der</strong> umfassenden Wahrheit, die als ganze Gott<br />
vorbehalten ist.<br />
Diese Struktur o<strong>der</strong> Systematik ließe sich nun in<br />
viele weitere Einzelanalysen hinein weiter ausbuchstabieren,<br />
die Rosenzweig im dritten Teil des<br />
SE herausarbeitet, indem er v.a. die Liturgien von<br />
Judentum und Christentum, aber auch <strong>der</strong>en<br />
Stellung in <strong>der</strong> Entwicklung <strong>der</strong> Weltgeschichte<br />
und an<strong>der</strong>es mehr analysiert. Man sieht aber<br />
schon jetzt: es gibt eine komplementäre Aufteilung<br />
zwischen Judentum und Christentum nach<br />
ihrer jeweiligen Funktionen bei <strong>der</strong> Herbeiführung<br />
des Reiches Gottes. Die letzte Einheit bei<strong>der</strong><br />
liegt aber immer bei Gott selbst, <strong>der</strong> <strong>der</strong> eigentliche<br />
Handelnde im Erlösungsgeschehen ist. Er ist<br />
nicht nur das Ziel <strong>der</strong> Erlösung, son<strong>der</strong>n auch <strong>der</strong><br />
eigentliche Agent, die treibende Kraft auf dem<br />
Weg zum Ziel.<br />
Diese komplementäre Systematik hat mehrere<br />
Grenzen, die in ihr selbst angelegt sind. Diese<br />
Grenzen zeigen, dass diese Systematik ihrerseits<br />
das erfüllt, was sie in den beiden vorausgehenden