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epd Dokumentation online - Der Deutsche Koordinierungsrat der ...

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Zudem befinden sich die Juden heute nicht mehr<br />

im Zeitalter des Zionismus, son<strong>der</strong>n des Post-<br />

Zionismus, also einer Epoche, in <strong>der</strong> sich das<br />

nationalstaatliche Selbstverständnis <strong>der</strong> Juden<br />

ebenso auflöst, wie die im vierzehnten Jahrhun<strong>der</strong>t<br />

entstehende politische Form des Nationalstaats,<br />

die im neunzehnten Jahrhun<strong>der</strong>t ihren<br />

Höhepunkt fand, im Zeitalter <strong>der</strong> Globalisierung<br />

an politischer und intellektueller Bedeutung verliert,<br />

ohne doch kurzfristig einfach zu verschwinden.<br />

Für das Judentum hatte das überhaupt erst nach<br />

<strong>der</strong> Shoah und <strong>der</strong> jüdischen Staatsgründung<br />

verbreitete nationalstaatliche Bewusstsein eine<br />

gewichtige Bedeutung: Daran, dass es dem Zionismus,<br />

<strong>der</strong> schon mehr als hun<strong>der</strong>t und dem<br />

Staat Israel, <strong>der</strong> schon mehr als fünfzig Jahre alt<br />

wurde, gelungen ist, die Juden in aller Welt aus<br />

einer Ansammlung mittelalterlicher Körperschaften,<br />

ethnischer Gruppierungen und unterschiedlich<br />

gefärbter Konfessionsverbände beinahe zu<br />

einem mo<strong>der</strong>nen Volk zu bündeln, ist nicht zu<br />

zweifeln. Dass sich das jüdische Selbstverständnis<br />

heute zunehmend stärker von seiner zionistischen<br />

Form entfernt, ist indes paradoxerweise<br />

einer inneren Dynamik <strong>der</strong> zionistischen Staatsgründung<br />

selbst zuzuschreiben.<br />

Jüdinnen und Juden in aller Welt, die jüdische<br />

Bevölkerung Israels und <strong>der</strong> Westbank sowie die<br />

Institutionen des 1948 gegründeten Staates befinden<br />

sich heute auf dem Wege in eine postzionistische<br />

Zukunft, die – an<strong>der</strong>s als man meinen<br />

könnte – nicht von Laizisten und Friedenswilligen<br />

gewollt wird, son<strong>der</strong>n von Kräften, denen es um<br />

alles, aber nicht mehr um einen herkömmlichen<br />

Staat geht.<br />

Das zionistische Vorhaben, einen von seinen<br />

Nachbarn anerkannten – sei es romantisch erstrebten,<br />

sei es rational begründeten – Staat <strong>der</strong><br />

Juden zu etablieren, wird im heutigen Israel von<br />

einer Vielzahl an <strong>der</strong> Regierung befindlicher,<br />

bzw. sie konfliktreich stützen<strong>der</strong> religiöser Bewegungen<br />

abgelöst, die gleichwohl höchstens 25%<br />

<strong>der</strong> Bevölkerung repräsentieren. Diese Bewegung<br />

ist übrigens nicht nur auf den Staat Israel begrenzt,<br />

son<strong>der</strong>n vollzieht sich vor allem auch in<br />

<strong>der</strong> größten Diasporagemeinschaft, den USA. In<br />

Israel, den USA und – wenn auch in geringerem<br />

Ausmaß – in an<strong>der</strong>en Län<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Diaspora steht<br />

heute in Frage, welchem Selbstverständnis sich<br />

Jüdinnen und Juden zu Beginn des Dritten Jahrtausends<br />

christlicher Zeitrechnung, mehr als<br />

fünfzig Jahre nach dem Holocaust und <strong>der</strong> Gründung<br />

des Staates Israel verschreiben werden.<br />

<strong>epd</strong>-<strong>Dokumentation</strong> 10/2007 45<br />

<strong>Der</strong>zeit lassen sich idealtypisch drei vorherrschende<br />

Identitätsentwürfe beschreiben. In welchem<br />

Ausmaß und in welchen tatsächlichen Mischungsverhältnissen<br />

diese Selbstverständnisse<br />

heute unter den etwa 14 Millionen lebenden Juden<br />

verteilt sind, ist die Frage einer empirischen<br />

Soziologie des Judentums, die ich hier nicht vertiefe.<br />

Zu unterscheiden sind mindestens:<br />

1. ein liberal-konfessionelles Verständnis, wonach<br />

die Juden zwar so etwas wie eine eigene<br />

ethnische Identität haben, aber als Bürger <strong>der</strong><br />

Staaten, in denen sie leben, eine die Erfahrungen<br />

<strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>ne in sich aufnehmende, auf<br />

Bibel und Talmud beruhende, ethischmonotheistische<br />

Religion in unterschiedlichen<br />

orthodoxen, konservativen und liberalen<br />

Spielarten pflegen;<br />

2. ein ethnisch-religiöses Verständnis, gemäß<br />

dessen die Juden als das von Gott zu seinem<br />

Dienst berufene Volk im Vertrauen auf seine<br />

Verheißung das ihnen zugesprochene Land Israel<br />

bewohnen und im Blick auf die katastrophale<br />

Geschichte des Zwanzigsten Jahrhun<strong>der</strong>ts<br />

in beson<strong>der</strong>er Weise darum bemüht<br />

sind, Gottes Weisungen zu folgen; weswegen<br />

dieser Staat im wesentlichen auf <strong>der</strong> Tora beruhen<br />

soll;<br />

3. ein ethnisch-laizistisches Verständnis, wonach<br />

die Juden durch die Geschichte des Zwanzigsten<br />

Jahrhun<strong>der</strong>ts und vor allem wegen <strong>der</strong><br />

als »Shoah« bezeichneten industriellen Massenvernichtung<br />

<strong>der</strong> europäischen Juden willentlich<br />

o<strong>der</strong> unwillentlich zu einem Volk zusammengeschweißt<br />

wurden, das sein geographisches<br />

und absehbar auch demographisches<br />

Zentrum in einem mehr o<strong>der</strong> min<strong>der</strong> laizistischen<br />

Staat Israel besitzen wird.<br />

<strong>Der</strong> heute in Israel vorherrschende politische<br />

Entwurf sowohl laizistischer Nationalisten als<br />

auch orthodox-jüdischer Fundamentalisten zielt<br />

jedoch paradoxer Weise auf die Aufhebung des<br />

Zionismus und damit auf die wesentliche Form,<br />

die die Mo<strong>der</strong>ne dem Judentum gegeben hat. Wo<br />

<strong>der</strong> mo<strong>der</strong>ne Nationalstaat, auch noch in seiner<br />

romantischen, herkunftsbezogenen Form, auf die<br />

souveräne Verfasstheit des Volkes und – bei aller<br />

Konflikthaftigkeit – auf die Bestimmtheit seines<br />

Territoriums sowie die prinzipielle Gleichwertigkeit<br />

an<strong>der</strong>er Nationen setzt, kennt <strong>der</strong> jüdische<br />

Fundamentalismus nur noch das Gegenteil all<br />

dessen: an die Stelle des demokratisch- souveränen<br />

Volkes tritt die jeweils beanspruchte, nicht<br />

mehr diskutierbare Souveränität Gottes, an die

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