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Foto: Hubertus Hamm

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weit, dass man berücksichtigen muss, welche<br />

Schadstoffe bei der Herstellung der Baumaterialien<br />

entstehen – also der Primärenergieaufwand<br />

von Beton, Ziegel usw. Das ist alles gut, notwendig<br />

und richtig. Trotzdem darf all das nicht<br />

zu Lasten der Architektur gehen. Sonst gibt es<br />

irgendwann einmal nur noch ein Einheitsmaterial<br />

und die Vielfalt der Architektur bleibt auf der<br />

Strecke. Beim Automobildesign, das inzwischen<br />

stark von den Windkanalwerten bestimmt wird,<br />

sieht man, wohin das führen kann: selbstähnliche<br />

Formen mit minimaler Unterscheidungsqualität,<br />

was nach einiger Zeit zu Retro-Design-Verherrlichungen<br />

führt, die Menschen von Zeiten<br />

schwärmen lässt, wo man noch ” geklotzt“ hat.<br />

? apropos ” klotzen“. sie sind ein<br />

architekt, der gerne beton verwendet. wie<br />

ist das mit den anforderungen des nachhaltigen<br />

bauens zu vereinbaren?<br />

! Das Material Beton deckt sich mit meinen<br />

Vorstellungen von archaischen Baukonzepten.<br />

Das heißt für mich, schwere Materialien zu<br />

verwenden, keine hohen Luftgeschwindigkeiten<br />

im Haus zu erzeugen, damit keine Klimaanlagen<br />

einzusetzen und Räume zu schaffen, in denen<br />

sich die Bewohner wohlfühlen. Das hat natürlich<br />

auch etwas mit dem Raumklima zu tun – und<br />

damit meine ich das jetzt nicht im übertragenen<br />

Sinne, sondern wirklich physikalisch als Luftraumtemperatur<br />

und Luftfeuchtigkeit.<br />

Beton eignet sich in diesem Punkt sehr<br />

gut für eine große Klimaausgeglichenheit im<br />

Raum. Es gibt dazu zum Beispiel die Betonkernaktivierung,<br />

bei der während des Betonierens<br />

neben der Armierung ein Schlauchsystem eingegossen<br />

wird, das über einen Wärmetauscher mit<br />

dem Grundwasser verbunden ist und die Temperaturdifferenz<br />

zwischen Umgebungstemperatur<br />

und Grundwasser nutzt. Denn im Winter ist das<br />

Grundwasser wärmer als die Außentemperatur<br />

und ist daher gut zum Heizen von Häusern<br />

geeignet. Während es im Sommer umgekehrt<br />

ist und man damit Räume kühlen kann. Das ist<br />

nachhaltig und schont sehr die Umwelt, weil<br />

man nur die Pumpleistung als Energieverbraucher<br />

hat. Das Grundwasser ist nun mal der<br />

größte Thermospeicher, den wir haben. Und zu<br />

dem fast überall ein Zugang möglich ist. Und<br />

das, was die Wärme respektive Kühlleistung betrifft,<br />

gratis ist. An diesem Beispiel versteht man<br />

übrigens, was ich damit meine, dass man die<br />

” grüne Technologie“ im Haus nicht unbedingt<br />

sehen muss.<br />

Ein solches geothermisches Heiz- respektive<br />

Kühlsystem braucht große Austauschflächen,<br />

weshalb es als Fußbodenheizung sehr<br />

geeignet ist. Naturgemäß reagiert ein solches<br />

System träge und erzielt keine Höchst- bzw.<br />

Tiefsttemperaturen, aber genau solche Temperaturpeaks<br />

sind für den Menschen auch gar nicht<br />

gesund. Jeder Mediziner wird bestätigen, dass es<br />

für den Organismus am gesündesten ist, wenn<br />

das Delta zwischen Außen- und Innentemperatur<br />

nicht zu groß wird. Außerdem lässt die Konzentrationsfähigkeit<br />

ab 26 Grad Innentemperatur<br />

stetig nach.<br />

? sind das noch exotische formen<br />

der energieeinsparung oder erfreuen die<br />

sich schon einer breiten beliebtheit?<br />

! Statistisch werden mittlerweile ca. 30<br />

Prozent aller gewerblichen Neubauten mit einer<br />

solchen Bauteilaktivierung ausgestattet, Tendenz<br />

steigend.<br />

? haben sie eine vision zum thema<br />

green building?<br />

! Was wir jetzt in unserem Lande an<br />

neuen Technologien bei den sogenannten Green<br />

Buildings einsetzen, ist ja erst der Anfang. Und<br />

kann auch nur der Anfang sein. Denn wenn<br />

man sich einmal die großen Kumulationspunkte<br />

der Menschheit anschaut, also Jakarta, Delhi,<br />

Kalkutta, Tokio, die in einem Breitengradgürtel<br />

von 28 Grad Nord bis 22 Grad Süd liegen, dann<br />

sieht man, dass die Primärenergie, die gebraucht<br />

wird, um diese Areale runterzukühlen, viel höher<br />

einzuschätzen ist als das, was wir hier in unseren<br />

Breitengarden zu Heizzwecken in Betracht<br />

ziehen. Deshalb können wir nur diejenigen sein,<br />

die als Technologie-Entwickler und -Tester die<br />

Möglichkeiten erforschen. Aber eigentlich geht<br />

es um diese heißen Regionen, auf die die Welt<br />

seine Energiesparanstrengungen konzentrieren<br />

muss.<br />

Sehen Sie, Städte erzeugen ihr eigenes<br />

Mikroklima, welches im Allgemeinen die Effekte<br />

des globalen Klimawandels noch verstärkt. Im<br />

Vergleich zu umliegenden ländlichen Gebieten<br />

erzeugen urbane Gebiete einen Anstieg der<br />

Temperaturen im Stadtzentrum von zwei bis<br />

sechs Grad Celsius. Durch Stadtplanungen und<br />

Gebäudeformen, die lokale klimatische Bedingungen<br />

missachten, gehen die kühlenden Effekte<br />

von Grünflächen und Windschneisen verloren.<br />

In der Folge heizen sich Gebäude und versiegelte<br />

Flächen beträchtlich auf.<br />

Wenn wir daher die Erkenntnisse aus<br />

dem Bau vom Green Building nicht umgehend in<br />

industriell gefertigte, preisgünstige Bauelemente<br />

für den Gebäudebau in aller Welt umsetzen,<br />

werden in den Megalopolen unserer Erde dank<br />

zunehmender Verstädterung und steigendem Lebensstandard<br />

die meisten Menschen als Lösung<br />

ihrer Klimawünsche auf die üblichen Klimaanlagen<br />

zurückgreifen. Und damit Energiefressern<br />

Tür und Tor öffnen, die den Energieverbrauch in<br />

Stadtgebieten steigern und durch Hitze-Immission<br />

zum Effekt städtischer Wärmeinseln beitragen.<br />

Im United Nations Population Fund (http://<br />

www.unfpa.org/swp/2007/english/chapter_5/<br />

climate_change.html) können Sie dazu Näheres<br />

erfahren.<br />

? welche elemente könnten wir denn<br />

in diese regionen exportieren?<br />

! Für den kontrollierten Erhalt des<br />

gebäudeinternen Klimas stehen ja bereits jetzt<br />

schon nahezu alle bauphysikalischen Mittel zur<br />

Verfügung, die in Großprojekten auch sicherlich<br />

überall umgesetzt werden. Aber die müssen auch<br />

für den einzelnen Hausbesitzer erschwinglich<br />

werden.<br />

Zum Beispiel Technologien, die in einer<br />

Art ” Umkehrschub“ solare Energie in Kühlenergie<br />

wandeln und zugleich auch Süßwasser erzeugen<br />

können. Mit solchen ” Energiewandlern“<br />

könnte die Aufzehrung der Ressourcen gestoppt<br />

und das entstehende Ungleichgewicht in den<br />

Mega-Metropolen gebremst werden.<br />

An einem technologischen Defizit für solche<br />

neuen Aggregate liegt es jedenfalls nicht. Es<br />

ist eher eine ökonomische Frage, weshalb solche<br />

Geräte preisgünstiger werden müssen, was man<br />

aber durch die Herstellung großer Stückzahlen<br />

oder auch Subventionen erreichen könnte.<br />

Daneben muss man bedenken, dass die<br />

riesigen Ölvorkommen ja nichts anderes sind<br />

als die in Jahrtausenden angelegten und unterirdisch<br />

verschlossenen Energie-Konten der Sonnenkraft,<br />

die jetzt in kürzester Zeit abgeschmolzen<br />

und in die Atmosphäre entlassen werden.<br />

Deshalb ist das Solar-Projekt DesertTech in der<br />

Sahara der richtige Schritt in diese Richtung,<br />

wenn solche nachhaltigen Großanlagen nicht<br />

nur für Europa, sondern auch – und gerade – für<br />

die heißen Regionen unseres Globus geschaffen<br />

werden.<br />

? sind zertifizierungen ein hilfreiches<br />

tool für die zunehmende verbreitung<br />

von energiesparmaßnahmen beim bauen?<br />

! Indirekt vielleicht. Weil sie im Zusammenhang<br />

mit den Herausforderungen des Klimawandels<br />

das Bewusstsein von Investoren fördern,<br />

die dank der zertifizierten Bauten höhere Renditen<br />

erzielen können – und damit die Verbreitung<br />

” grüner Gebäude“ erhöhen.<br />

Manchmal reicht aber auch der Taschenrechner,<br />

wie man am Sears Tower sehen<br />

kann. Er ist zur Zeit das höchste Gebäude der<br />

westlichen Welt und für eine energetische<br />

Sanierung in Planung. Das reicht von 104 neuen<br />

Fahrstühlen, die 40 Prozent weniger Strom<br />

verbrauchen, über 16.000 (!) Einscheibenfenster,<br />

die durch isolierende Fenster ersetzt werden,<br />

und ein Brennstoffzellen-Heizkraftwerk bis zu<br />

Windturbinen auf dem Dach, die für zusätzliche<br />

Energie sorgen. Die neuen Maßnahmen werden<br />

den Elektrizitätsbedarf um 80 Prozent senken.<br />

Das sind 80 Prozent weniger Kosten für Strom –<br />

immerhin 68 Millionen Kilowattstunden weniger<br />

pro Jahr. Das rechnet sich langfristig. Auch wenn<br />

für die anstehenden Sanierungsmaßnahmen 350<br />

Millionen Dollar veranschlagt sind. Aber gehen<br />

Sie davon aus, dass die Energiekosten in Zukunft<br />

nicht billiger, sondern teurer werden. Und noch<br />

ein Faktor ist wichtig: Für den Hauptnutzer<br />

des Gebäudes, den Versicherungsmakler Willis<br />

Group Holdings, ist dieses – im wahren Sinn<br />

des Wortes so zu nennende – Leuchtturmprojekt<br />

ein internationaler Imagegewinn, den man nur<br />

schwer quantifizieren kann. Sie sehen: Green<br />

Building senkt nicht nur die Kosten und hebt<br />

das Image, sondern macht ein Gebäude langfristig<br />

auch werthaltiger.<br />

Aber auch bei kleineren Objekten greift<br />

dieses Bewusstsein für die Vorzüge des Green<br />

Buildings. So werden wir in unserem Architekturbüro<br />

beim anstehenden Verkauf einer zu<br />

erstellenden Gewerbeimmobilie immer häufiger<br />

gefragt, welche Indikatoren wir im Sinne der<br />

Green-Building-Zertifizierung bieten können.<br />

Denn für die zukünftigen Nutzer sei das ein Asset,<br />

das den Einstieg in die Verhandlungen sehr<br />

vereinfachen würde. Dieses Denken ist in unseren<br />

Breitengraden inzwischen bei der breiten<br />

Bevölkerung angekommen und wird neben der<br />

Auswahl formaler Kriterien, dem Zuschnitt der<br />

Räume und wirtschaftlicher Bedingungen einen<br />

immer wichtigeren Beitrag bei der Betrachtung<br />

zukünftiger Immobilien darstellen. Und das ist<br />

erst der Anfang.<br />

Joachim Jürke lehrte von 1997 bis 2004 an der Akademie<br />

der Bildenden Künste im Fachbereich Innenarchitektur. In<br />

den Jahren 2004 bis 2007 war er Inhaber der Professur für<br />

Baukonstruktion und experimentelles Konstruieren.<br />

N#<br />

Nachmann rechtsanwälte arbeiten mit Joachim Jürke in<br />

rechtsangelegenheiten und bei Projektentwicklungen zusammen.<br />

Joachim Jürke hat die Büroräume von Nachmann rechtsanwälte<br />

gestaltet.

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