23.01.2013 Aufrufe

Druckdaten Handbuch Suizidprävention inkl ... - TelefonSeelsorge

Druckdaten Handbuch Suizidprävention inkl ... - TelefonSeelsorge

Druckdaten Handbuch Suizidprävention inkl ... - TelefonSeelsorge

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Unrecht bewertet wurde, wird nun im Kontext der<br />

Forderung nach menschlicher Selbstbestimmung<br />

unter dem medizinisch-psychologischen Blickwinkel<br />

zur Krankheit erklärt. Verschiedene Zugangsweisen<br />

zeigen ein sehr unterschiedliches Verständnis<br />

des Phänomens „Suizid“. Ausgangspunkt<br />

ist der Versuch einer diagnostischen Einordnung<br />

als (körperlich bedingte) Geisteskrankheit. In<br />

der Pariser Medizin-Schule (Anfang des 19. Jahrhunderts)<br />

wurde eine Verursachung durch unterschiedliche<br />

Bedingungen angenommen, allerdings<br />

mit einem besonderen Schwergewicht psychogener<br />

(„moralischer“) Faktoren (vgl. MAIER-JANSON,<br />

1987, S. 22).<br />

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts fi ndet<br />

die naturwissenschaftlich-ätiologische Krankheitskonzeption<br />

der Degenerationslehre breite Zustimmung.<br />

Die beobachtete familiäre Tradierung des<br />

Suizids wurde zu einer Entartungshypothese erweitert<br />

und verabsolutiert. Suizid wird als Symptom<br />

eines (endogenen) degenerativen Prozesses gesehen,<br />

der zu einer krankhaften Abweichung vom<br />

Normaltypus führt.<br />

Die moralstatistische Suizidforschung (des 19.<br />

Jahrhunderts) untersucht das Vorkommen von<br />

Suizid in der Bevölkerung. Die Suizidrate wird<br />

zum objektiven Maßstab, um Aussagen über Zusammenhänge<br />

im Kontext von Suizid zu machen.<br />

Suizidalität wird zu einer Art Fieberkurve des sozialen<br />

Körpers (vgl. MAIER-JANSON, 1987, S.<br />

30). Suizid wird nicht durch individuelle Erkrankung<br />

oder individuelle Motive erklärt, sondern mit<br />

sozialen, gesellschaftlichen Bedingungen in Zusammenhang<br />

gebracht. Suizidhäufi gkeiten werden<br />

zu aussagekräftigen Indikatoren für gesellschaftliche<br />

Fehlentwicklungen (vgl. MAIER-JANSON,<br />

1987, S. 29).<br />

Die Suizidforschung im 20. Jahrhundert zeigt<br />

neue Perspektiven. Mit dem Aufkommen des<br />

psychoanalytischen Verständnisses rücken Th emen<br />

wie „Selbstwert“ und „Schuldgefühle“ in den<br />

Mittelpunkt des Interesses. Freud formuliert in<br />

„Trauer und Melancholie“ (1916) unter psychodynamischem<br />

Blickwinkel drei Bedingungen als<br />

Voraussetzungen zum Suizid:<br />

1. den Objektverlust als auslösendes Moment;<br />

2. den Ambivalenzkonfl ikt in der Objektbeziehung;<br />

3. die Regression auf die narzisstische Stufe der<br />

Objektwahl (vgl. MAIER-JANSON, 1987,<br />

S. 34).<br />

„Objekt“ bezeichnet in der Psychoanalyse das Korrelativ<br />

des Triebes oder der emotionalen Bindung.<br />

Üblicherweise ist das die Person, auf die das Ich<br />

abzielt (vgl. LAPLANCHE, PONTALIS, 1977,<br />

S. 335). Später wird von Freud das Konzept des<br />

Todestriebs entwickelt (FREUD, 1920 und 1923).<br />

Konzepte in der Folge betonen die aggressivdestruktive<br />

Seite des suizidalen Verhaltens bzw.<br />

die Labilisierung des narzisstischen Regulationssystems.<br />

Erwin Ringel (1953) beschreibt die drei<br />

Symptome des präsuizidalen Symptoms.<br />

Henseler (1974) betont die Bedeutung des Selbstwertgefühls<br />

und der narzisstischen Objektbindung<br />

(vgl. MAIER-JANSON, 1987, S. 36). Die intrapsychische<br />

Dynamik wird als wesentlich angesehen<br />

und erfordert eine therapeutische Bearbeitung des<br />

unbewussten innerseelischen Konfl ikts (siehe hierzu<br />

im Einzelnen Kapitel 2.3).<br />

3.4 | Religiöse und ethische Fragen 12/2009

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!