Druckdaten Handbuch Suizidprävention inkl ... - TelefonSeelsorge
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In relativ kurzer Zeit wird der Mitarbeitende in<br />
eine Stimmung und in eine Lebensgeschichte katapultiert,<br />
die er erst einmal kennenlernen muss, um<br />
den Anrufenden vor seinem persönlichen Hintergrund<br />
wahrnehmen zu können.<br />
Das heißt: Ein „Spezialist“ (Anrufer) triff t auf einen<br />
„Laien“ (TSler) und nicht umgekehrt! Mitarbeitende<br />
in der <strong>TelefonSeelsorge</strong> tun gut daran,<br />
diese Rollenverteilung und die damit verbundenen<br />
Kenntnisunterschiede in Bezug auf die Situation<br />
des Anrufenden nicht zu vertauschen.<br />
Der Vorteil des Laien kann die Distanz sein, die<br />
er zum Anrufenden und dessen Situation hat und<br />
unbedingt einhält. Sie hilft, sich nicht zu verstricken<br />
und Distanzperspektive einzusetzen.<br />
Welche Dynamik kann eine solche Rollen- und<br />
Aufgabenverteilung bewirken? Sollte es ein sehr<br />
anrührendes, tief in die Emotionalität des Anrufenden<br />
führendes Gespräch sein, so besteht natürlich<br />
die Gefahr, dass der Mitarbeitende in der<br />
<strong>TelefonSeelsorge</strong> sich verpfl ichtet fühlt, die „Auftragsklärung“<br />
nicht sorgfältig abzustimmen, für<br />
den Anrufenden sorgen zu wollen, letztlich ungefragt<br />
mehr Verantwortung als üblich und im institutionellen<br />
Rahmen möglich übernehmen zu<br />
wollen.<br />
Denkbar wäre auch, dass aus Respekt oder<br />
Angst zu viel Abstand eingehalten wird und angedeutete<br />
Suizid- oder Todesgedanken „überhört“<br />
oder unzureichend verbalisiert werden.<br />
Es besteht also die Gefahr der Rollenverdrehung<br />
und Aufgabenvermischung und die Gefahr<br />
des „Zuviel“ oder „Zuwenig“.<br />
Folgendes scheint deshalb zur Standortbestimmung<br />
und Sicherung des TS-Mitarbeitenden nötig:<br />
• Vergegenwärtigung der Rolle und der damit<br />
verbundenen Aufgaben des Mitarbeitenden<br />
in der Institution TS: das Gespräch führen,<br />
Gesprächspartner sein und nicht Engel noch<br />
Retter;<br />
Praxisfeld: Telefon 4.1<br />
• eigene biografi sche Berührungen mit dem<br />
Suizid kennen und wissen, welche Appelle<br />
verführerisch wirken könnten, Grenzen nicht<br />
einzuhalten. Mögliche Appelle: „Sie sind meine<br />
letzte Rettung!“, „Ich habe schon alles probiert!“,<br />
„Kommen Sie bloß nicht auf die Idee,<br />
mich retten zu wollen!“<br />
4.1.1.5 Zusammenfassung und Überleitung<br />
zum Übungsteil:<br />
Begegnung mit Suizid ist eine besondere<br />
Belastung der Beratenden<br />
Gespräche mit Menschen, die eine Suizidhandlung<br />
planen, führen leicht ans Limit. Sie konfrontieren<br />
mit eigenen und fremden Ängsten und führen auf<br />
ein Terrain, in dem ein hohes Maß an Beherztheit<br />
und Authentizität erforderlich ist. Das heißt auch,<br />
Ängste und Unsicherheiten als ständige Begleiter<br />
im Gespräch auszuhalten und zu akzeptieren.<br />
Anweisungen zum Führen von Gesprächen um<br />
Suizid bestärken und ermutigen Mitarbeitende,<br />
aber es gibt kein besonderes „Handwerkszeug“ für<br />
den Umgang mit diesen Anrufern.<br />
Mitarbeitende äußern in Bezug auf den Umgang<br />
mit suizidgefährdeten Anrufenden häufi g, sie<br />
könnten durch eine „falsche“ Gesprächsführung<br />
quasi über Tod und Leben des Anrufenden entscheiden.<br />
Das macht Druck, löst Unsicherheit aus<br />
und könnte gerade hier sprachlos machen. Deshalb<br />
ist es wichtig zu wissen, dass Beziehung allein<br />
schon ein Stück Halt gibt. Das heißt: Lieber etwas<br />
„Falsches“ sagen, als zu schweigen; lieber etwas ansprechen,<br />
was dann nicht passt, nicht gemeint war,<br />
als etwas zu überhören.<br />
Zur Aus- und Fortbildung gehört auch, die Haltung<br />
von Mitarbeitenden zum Th ema Suizid und<br />
die Ansprüche ans eigene Handeln, die sich daraus<br />
ableiten lassen, zu erarbeiten.<br />
Folgende Fragen könnten helfen, die Haltung bewusster<br />
wahrnehmen zu können:<br />
Praxisfelder | 4.1