Druckdaten Handbuch Suizidprävention inkl ... - TelefonSeelsorge
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zu ihrem Hausarzt auf. Sie teilen aber nicht off en<br />
mit, dass sie suizidal sind, da sie die Inanspruchnahme<br />
von Hilfe als hochambivalent erleben. In<br />
einer sowieso schon als prekär und eben als nicht<br />
zu bewältigen empfundenen Krisensituation wird<br />
das Eingestehen einer persönlichen Grenze möglicherweise<br />
als bedrohliches Versagen oder Verlust<br />
von Kontrolle und Angewiesensein erlebt. Es ist<br />
ein kränkendes und beschämendes Eingeständnis,<br />
über die eigene Suizidgefährdung zu sprechen.<br />
Unter Umständen droht in dieser labilen Situation<br />
auch die Gefahr, missverstanden zu werden, die<br />
Autonomie zu verlieren oder Bagatellisierung oder<br />
Zurückweisung zu erfahren. Ist die Suizidalität Teil<br />
einer depressiven oder narzisstischen Krise, also<br />
mit Verlust- und Verlassenheitserfahrungen oder<br />
einem fragilen Selbsterleben verbunden, so werden<br />
die Betroff enen jede Zurückweisung als Bedrohung<br />
für ihren Selbstwert erleben. Aus diesen und<br />
anderen Gründen werden Suizidgedanken häufi g<br />
verschwiegen oder hinter vagen Andeutungen verborgen.<br />
Das besondere Setting des Webmail-Kontaktes<br />
macht es einfacher, mutig zu sein und mit der eigenen<br />
Not nach außen zu gehen. Ganz für sich,<br />
manchmal wie im Probehandeln und unter Wahrung<br />
der eigenen Autonomie kann das Beängstigende<br />
und Beschämende in Worte gefasst und<br />
einem virtuellen Gegenüber anvertraut werden.<br />
Hilferufe sind außerdem jederzeit möglich – eben<br />
jetzt hier zu Hause, in einer Situation, in der das<br />
Erleben akut bedrängend wird oder einfach jetzt<br />
in diesem Moment, in dem der Mut vorhanden<br />
ist. Gleichzeitig bleiben alle Äußerungen zunächst<br />
unverbindlich und damit ungefährlich. Der Ratsuchende<br />
kann sein Erleben mitteilen, er muss sich<br />
aber nicht unmittelbar einer anderen Person zeigen<br />
und damit auseinandersetzen, wie ein Gegenüber<br />
sein Empfi nden und seine Not beantwortet. Das<br />
kann sehr entlastend sein. Es erklärt vielleicht die<br />
Häufi gkeit, mit der suizidale Th emen in (Erst-)<br />
Mails angesprochen werden.<br />
Allerdings muss der suizidale Mensch es auch<br />
Praxisfeld: Internet 4.2<br />
aushalten können, keine unmittelbare Antwort zu<br />
bekommen und mit dem, was er an Lebensäußerung<br />
in Worte gefasst vor sich sieht, zunächst alleine<br />
zu bleiben.<br />
Chancen, Herausforderungen und Grenzen für<br />
ehrenamtliche Mitarbeiterinnen im Webmail-<br />
Kontakt mit suizidalen Ratsuchenden<br />
Ein Webmail-Kontakt bietet weder Th erapie noch<br />
Brieff reundschaft. Die Telefon-Seelsorgerinnen<br />
bieten sich als Begleiterinnen in einer ausweglos erscheinenden<br />
Lebenslage an und müssen in dem erwähnten<br />
Spannungsfeld von Beziehungswünschen<br />
den angemessenen Rahmen der Begegnung immer<br />
wieder neu defi nieren.<br />
Gerade in der Krisenintervention und Begleitung<br />
suizidgefährdeter Menschen ist es wichtig,<br />
dass die innere Haltung und Rolle der ehrenamtlichen<br />
Mitarbeitenden sehr klar und verlässlich beschrieben<br />
werden. Es muss deutlich sein, wie sie<br />
sich verstehen, was sie anbieten und wo die Grenzen<br />
ihres Hilfsangebotes liegen. Beide Parteien<br />
müssen deutlich erkennen, welche gemeinsamen<br />
Räume eröff net werden können und was nicht<br />
leistbar ist.<br />
Menschen, die sich auf eine Webmail-Beratung<br />
einlassen, erleben im virtuellen Rahmen durch<br />
das Verschriftlichen ihrer Empfi ndungen und ihrer<br />
Lebenssituation eine dialogische Auseinandersetzung<br />
mit sich selbst. Allein dieser Prozess wird<br />
häufi g schon als verändernd und therapeutisch<br />
erlebt. In der Auseinandersetzung mit einem Text,<br />
der ihnen ihre eigene Situation spiegelt, sind die<br />
Betroff enen mit sich allein. Ihre Reaktionen und<br />
Empfi ndungen bleiben den Beratenden verborgen.<br />
Es ist und bleibt eine Black-Box-Situation. Es ist<br />
nicht möglich, im direkten Kontakt inneres Erleben<br />
oder inneres Bewegtsein des jeweiligen Gegenübers<br />
zu erahnen, überprüfend zu thematisieren<br />
oder korrigierend einzugreifen.<br />
Im virtuellen Raum kann sich eine innere Bezie-<br />
Praxisfelder | 4.2