Druckdaten Handbuch Suizidprävention inkl ... - TelefonSeelsorge
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Das Umgehen mit der Prozesshaftigkeit der Begleitung<br />
bringt eine andere Verantwortung mit sich.<br />
Die Prozessverantwortung liegt auf der Seite der<br />
TS-Mitarbeiterinnen. Es ist ihre Aufgabe, den Prozessverlauf<br />
im Auge zu behalten. Gerade im Kontakt<br />
mit labilen Menschen in suizidal gefärbten<br />
depressiven oder narzisstischen Krisensituationen<br />
oder vor dem Hintergrund erlebter Traumata besteht<br />
die Gefahr, dass die Betroff enen im Rahmen<br />
von unrealistischen Erwartungen alte Beziehungsmuster<br />
aktualisieren und sich schnell missverstanden<br />
oder zurückgewiesen fühlen - eine häufi g<br />
auftretende Situation. Die Suizidgefährdung kann<br />
so immer wieder im Begleitungsprozess virulent<br />
werden. Für die Telefonseelsorgerinnen ist es wichtig,<br />
diese Geschehnisse im gemeinsamen Prozess<br />
wahrzunehmen und schriftlich zu thematisieren. Das<br />
heißt, bei plötzlich wieder ganz akut aufbrechender<br />
Suizidalität ist immer auch danach zu fragen, ob es<br />
im gemeinsamen Mailkontakt möglicherweise Kränkungen<br />
gab. Vorausgesetzt, der Kontakt ist so stabil,<br />
dass er in diesen Situationen von der Mailerin aufrechterhalten<br />
wird, liegt darin eine große Chance,<br />
kränkende, Suizid fördernde Aspekte zu erkennen<br />
und die Beziehung zu stabilisieren. Es bleibt aber ein<br />
heikles Unterfangen und stellt tatsächlich die Stabilität<br />
der Begleitung auf den Prüfstand.<br />
In einer längerfristigen Begleitung ist die Gefahr,<br />
dass sich Helferinnen in die Beziehungsthematik<br />
der Hilfesuchenden verstricken, größer als in<br />
einem Einmalkontakt, wie er am Telefon stattfi<br />
ndet. Das Erkennen der Verführungen und der<br />
Fallstricke von möglicherweise destruktiven Beziehungsangeboten<br />
gerade im Kontakt mit suizidgefährdeten<br />
Menschen ist ein wichtiger Teil der<br />
supervisorischen Begleitung der Ehrenamtlichen.<br />
Das erwähnte Beziehungsmodell „Letzter Retter“<br />
ist nur eine von vielen Möglichkeiten, eine letztlich<br />
nicht hilfreiche Beziehung einzugehen.<br />
In einem Begleitungsprozess ist das gemeinsame<br />
Aushandeln von Nähe und Distanz immer wieder<br />
von Neuem wichtig. Bei im Prozess wachsender<br />
Praxisfeld: Internet 4.2<br />
Vertrautheit und Intimität ist doch immer wieder<br />
auf die gesunde, auch für Ehrenamtliche geltende<br />
professionelle Distanz zu achten. Der Umgang<br />
mit Hilfl osigkeits- und Überforderungsgefühlen,<br />
mit Fantasien gerade bei länger bestehender oder<br />
immer wiederkehrender, bedrohlich erscheinender<br />
Suizidalität im Kontakt nicht zu genügen, stellen<br />
große Herausforderungen dar. Es ist wichtig, ein<br />
Augenmerk darauf zu haben, ob die Ohnmacht der<br />
Begleiterinnen zur Abwehr von Th emen führt oder<br />
zum möglicherweise emotional erschöpfenden<br />
Überengagement. Hier benötigen die ehrenamtlichen<br />
Kräfte Unterstützung bei der Selbstrefl ektion<br />
und emotionale Entlastung.<br />
Die Verantwortung für den gemeinsamen Prozess,<br />
die Klärung der Rolle und des Angebots, das<br />
Benennen von Störungen und für die Selbstfürsorge<br />
muss von den ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen<br />
getragen werden. Die Verantwortung für das Leben<br />
und Sterben der suizidgefährdeten Ratsuchenden<br />
kann und darf nicht übernommen werden.<br />
Um für die genannten Zusammenhänge wach zu<br />
bleiben, die Belastung schultern zu können und<br />
Formen zu fi nden, diese schwierigen Aspekte im<br />
Webmail-Kontakt anzusprechen, ist die kontinuierliche<br />
supervisorische Begleitung eines solchen<br />
Kontaktes mit einem suizidgefährdeten Menschen<br />
unabdingbar.<br />
4.2.1.7 Begegnungs- und Handlungsmöglichkeiten<br />
in der Webmail-Begleitung<br />
suizidaler Menschen<br />
Sich der eigenen Haltung, Rolle, Begrenzungen<br />
und Verantwortlichkeiten im Rahmen einer Webmail-Begleitung<br />
bewusst zu sein, heißt noch nicht,<br />
auch handlungsfähig zu sein und im Kontakt mit<br />
einem suizidalen Ratsuchenden konkrete Schritte<br />
gehen zu können.<br />
Wie beschrieben, wird das Th ema Suizid bei der<br />
<strong>TelefonSeelsorge</strong> im Internet in einer großen<br />
Bandbreite angesprochen. Es wird krisenhaft-akut,<br />
Praxisfelder | 4.2