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NEU! - Zahnärztekammer Niedersachsen

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GESUNDHEITSPoLITIK<br />

Kommentar<br />

Das Private ist öffentlich<br />

Das Internet und der zunehmend mobile Zugriff<br />

darauf eröffnet nahezu unbeschränkte und für<br />

viele auch verführerische Möglichkeiten, rund<br />

um die Uhr an jedem ort erreichbar zu sein, mit<br />

Kreti und Pleti zu kommunizieren, die persönliche<br />

Meinung der Weltöffentlichkeit kundzutun oder sich zu<br />

inszenieren. Besonders junge Menschen lassen sich in den<br />

Bann der auf Wunsch allgegenwärtigen virtuellen Welt ziehen:<br />

rasend schnell eingetippte und verschickte Kurzmitteilungen,<br />

chatten mit wildfremden Gleichaltrigen in angesag-<br />

Britta Grashorn ten Foren oder Twittern, anstatt sich aufs Rad zu setzen und<br />

mit der Freundin zum Klönen zu treffen.<br />

Ältere Menschen – ab 40 aufwärts – stehen oft staunend vor diesem<br />

rasanten Wandel in der zwischenmenschlichen Kommunikation. Manche<br />

Eltern warnen ihre Kinder vor der omnipräsenz im Netz und ihren<br />

Gefahren. Der Mehrheit der Erwachsenen, Jugendlichen und Kindern<br />

sind sie entweder nicht bewusst oder nicht der Rede wert. Die Hemmschwellen,<br />

Privates nicht allzu öffentlich auszubreiten, sind längst gefallen.<br />

Dafür hat das Privatfernsehen den Boden bereitet mit »Big<br />

Brother«, »Dschungelcamp«, »Frauentausch«, »Deutschland sucht den<br />

Superstar«, »Raus aus den Schulden« sowie unzähligen Pannen-, Pöbelund<br />

»Ich-klage-an-Shows«, die allesamt an die niederen Instinkte der<br />

Zuschauer appellieren: Schadenfreude, Neid, Konkurrenz, Aggression,<br />

Sensationsgier – offenbar mit Erfolg. In diesem Klima ist auch das Pöbeln<br />

und Mobben per Internet gesellschaftsfähig geworden.<br />

Die online-Seligkeit wird weder durch Schlagzeilen über den massenhaften<br />

Datenklau bei Banken und Finanzdienstleistern oder von der<br />

beliebten Chat- und Lästerplattform »SchülerVZ« noch durch Warnungen<br />

vor Pädophilen getrübt, die sich im Netz als jugendlich ausgeben,<br />

um an ihre potenziellen opfer heranzukommen. Sensible Daten wie<br />

Namen, Alter, Wohnort, Telefonnummern, Hobbies, finanzieller Hintergrund,<br />

Bankverbindung bis zu bevorzugten Sexpraktiken werden<br />

ebenso sorglos dem Netz anvertraut wie persönliche Alltagserlebnisse<br />

oder Hasstiraden auf Mitschüler, Ex-Freundinnen, Lehrer, Ausbilder, Arbeitgeber,<br />

Kollegen.<br />

Datenschutz und Persönlichkeitsrechte sind Fremdwörter in dieser<br />

schillernden, aber gläsernen Netzwelt. Hier werden mit Hilfe vieler naiver<br />

Nutzer Milliarden verdient; hier werden aber auch Seelen verletzt<br />

und Existenzen vernichtet. Denn: Was einmal im Netz steht, hinterlässt<br />

dauerhafte Spuren. Kinder, Jugendliche und Lehrer, die etwa per SchülerVZ<br />

gemobbt werden, haben kaum eine Chance, etwas dagegen zu<br />

tun. Bilder von jugendlichen Saufgelagen und andere Peinlichkeiten im<br />

Netz können Karrieren beenden, bevor sie richtig begonnen haben.<br />

Auch das Lästern per Twitter oder Chat ist nicht privat, sondern öffentlich<br />

– Google & Co sei Dank! Fortgeschrittene Internetmobber wissen,<br />

dass sie niemals konkrete Namen nennen dürfen, wenn sie über ihre<br />

Mitmenschen »abkotzen« wollen. Zwar verletzen sie damit immer noch<br />

diverse gesetzliche Regelungen und die Rechte anderer, aber was soll’s:<br />

In der Regel hat das für die »Täter« keine Konsequenzen. Das muss sich<br />

ändern. Britta Grashorn,<br />

rundblick, 21.10.2009 l<br />

foto: ZKn-ArCHiv<br />

Stillstand in<br />

der Testregion<br />

Nordrhein:<br />

AOK will sich<br />

»zurückhalten«<br />

Laut Koalitionsvertrag kommt das Projekt<br />

der elektronischen Gesundheitskarte erneut<br />

auf den Prüfstand – weshalb die<br />

Krankenkassen nun kräftig auf die Bremse<br />

treten: Die AoK Rheinland/Hamburg<br />

gibt offenbar keine Karten mehr an ihre Versicherten<br />

in der Testregion Nordrhein aus. Von einem<br />

endgültigen »Ausgabestopp« mochte Pressesprecher<br />

André Maßmann auf Anfrage des änd<br />

noch nicht sprechen. Er betonte jedoch, dass sich<br />

die AoK »in Bezug auf die eGK nun sehr zurück<br />

halten« wird.<br />

Grund sei die Passage im Koalitionsvertrag, in<br />

der von einer »Bestandsaufnahme« hinsichtlich<br />

der eGK die Rede sei. Einen Zeitplan für das weitere<br />

Vorgehen habe die AoK Rheinland/Hamburg<br />

nicht, sagte Maßmann. In nächster Zeit müssten<br />

– auch im Interesse der anderen Krankenkassen –<br />

Gespräche mit den Regierungsmitgliedern geführt<br />

werden um zu klären, was die Koalitionsentscheidung<br />

für die Region Nordrhein bedeutet.<br />

Die Freie Ärzteschaft (FÄ) hatte kürzlich bereits<br />

unterstrichen, dass mit dem Koalitionsvertrag<br />

»das Datenerfassungs-Monster elektronische Gesundheitskarte<br />

auf Eis gelegt« worden sei. Das<br />

Milliarden-schwere Prestigeobjekt der bisherigen<br />

Gesundheitsministerin und »einiger weniger<br />

willfähriger Ärztefunktionäre« würde damit im<br />

»orkus der von Anfang an missratenen Politprojekte<br />

verschwinden«, hatte FÄ-Präsident Martin<br />

Grauduszus betont und von einem Erfolg engagierter<br />

Aufklärungsarbeit gesprochen.<br />

Die Betreibergesellschaft gematik zeigt sich<br />

unterdessen unbeeindruckt von den Verlautbarungen<br />

der Regierungskoalition. Erst heute veröffentlichte<br />

sie eine Liste von Krankenkassen, die soeben<br />

die Zulassung für die Herausgabe der »eGK<br />

Generation 1« erhalten hätten. Auch soll eine<br />

»Themenlandkarte« verdeutlichen, wo und wie<br />

das Projekt voranschreitet.<br />

www.facharzt.de, 27.10.2009 l<br />

Bemerkungen zum<br />

Auftritt der<br />

»Bürgerrechtlerin«<br />

Renate Hartwig in Kiel<br />

Protest allein<br />

reicht nicht<br />

Über Menschen, die sich von<br />

Propaganda nicht hinters<br />

Licht führen lassen und gegen<br />

politische Verdrehungen<br />

protestieren, sollte man<br />

sich zunächst einmal freuen.<br />

Ob Aufmerksamkeit und<br />

Protest ausreichen, um<br />

Machtverhältnisse zu ändern,<br />

das muss sich dann<br />

erst noch zeigen<br />

Diese Skepsis gilt auch für<br />

die Bewegung »Bürger<br />

Schulterschluss«, die sich<br />

das gute Ziel gesetzt hat,<br />

Patienten gemeinsam mit<br />

den niedergelassenen Ärzten und den<br />

übrigen freien Heilberufen für ein »gerechtes<br />

und humanes Gesundheitswesen«<br />

in Stellung zu bringen. Die Gründerin<br />

und Wortführerin von Schulterschluss,<br />

Renate Hartwig aus Neu-Ulm<br />

(Bayern), kam jetzt zu einem Vortrag<br />

nach Kiel; 250 Besucher stimmten ihr<br />

zu, stellenweise jubelnd.<br />

Wenn sich die temperamentvolle<br />

Bayerin zu Beginn vorstellt als »Bullter-<br />

rier – ich lasse nicht los«, erinnern sich<br />

wohl nur wenige Zuhörer an die Vizepräsidentschaftskandidatin<br />

der US-Republikaner,<br />

Sarah Palin, die sich gern<br />

als »Pitbull mit Lippenstift« bezeichnet<br />

hat. Beißkraft ist noch kein politischer<br />

Plan. Statt eine Strategie zu entwickeln,<br />

spricht Renate Hartwig ihren Anhängern<br />

aus dem Herzen. Das macht den<br />

Erfolg der Bewegung aus. 508 »Bürgerstammtische«<br />

sind die örtlichen und –<br />

jedenfalls in Kiel – ausgesprochen aktiven<br />

Stützpunkte der Bewegung. Auf<br />

der Grundlage einer rationalen Analyse<br />

der Dauerkrise des Gesundheitswesens<br />

spricht Hartwig jedoch nicht. Ihre<br />

Gegner sind in toto »die Politik«, »die<br />

Krankenkassen«, »die KVen – ich übersetze<br />

das mit Kriminelle Vereinigungen«<br />

und dann noch die marktbeherrschenden<br />

Klinikketten sowie die Gewerkschaften<br />

und natürlich »die Lobbyisten«<br />

– für sie sämtlich Gangster,<br />

nicht Interessenvertreter. Das sind alles<br />

Akteure, über die man sich häufig<br />

oder gelegentlich ärgern kann, auf die<br />

man jedoch mit kleinen Empörungs-<br />

Geschichten keinen Einfluss nehmen<br />

wird.<br />

Renate Hartwig hat Recht, wenn sie<br />

die vom GKV-Honorarsystem erzwungene<br />

Zeit-Rationierung im Sprechzimmer<br />

anprangert. Sie hat Recht, wenn<br />

sie feststellt, dass die Schulterschluss-<br />

Aktionen bislang von den Medien totgeschwiegen<br />

werden. Sie hat Recht,<br />

wenn sie von Bürgern politisches Verantwortungsbewusstsein<br />

und Zivilcourage<br />

verlangt. Sie hat völlig Recht,<br />

wenn sie die »Industrialisierung der<br />

Medizin« durch Kapitalgesellschaften,<br />

Klinikkonzerne und Klinik-MVZs kritisiert<br />

– das Vertrauensverhältnis zwischen<br />

Patient und frei gewähltem Arzt,<br />

die Freiberuflichkeit der Ärzte und die<br />

Behandlungsqualität werden bei diesem<br />

Trend verlieren.<br />

Sie hat aber nicht Recht, wenn sie<br />

meint, der Geldfluss im Komplex Arzt/<br />

Bürger/Krankenkasse/KV weise »Mafia-Strukturen«<br />

auf, »in denen unser<br />

Geld verschwindet«; wofür die Beiträge<br />

ausgegeben werden, ist hinlänglich<br />

bekannt. Sie hat ebenfalls nicht Recht<br />

bei ihren beklatschten Ausführungen<br />

über Werbeaktionen, mit denen die<br />

Krankenkassen angeblich Unsummen<br />

verballern würden; über manches (»für<br />

AoK-Mitglieder zehn Prozent Rabatt<br />

auf die Pizza«) kann man den Kopf<br />

schütteln, ins Gewicht fallen solche<br />

Kosten jedoch kaum. Sie stellt unbewiesene<br />

Behauptungen in den Raum,<br />

wenn sie das Sozialgesetzbuch V »verfassungsrechtlich<br />

fragwürdig« nennt.<br />

Sie weiß über Norddeutschland nicht<br />

genug Bescheid, wenn sie immer nur<br />

Beispiele aus den Rhön-Kliniken bringt,<br />

die hier nicht das große Problem darstellen.<br />

Recht hat Renate Hartwig wieder,<br />

wenn sie fordert: »Ulla Schmidt darf<br />

nicht Ministerin bleiben!« Ihre Begründung<br />

dafür kommt jedoch aus dem Katalog<br />

der oberflächlichsten Erregungs-<br />

Demokratie: die Ministerin verspreche<br />

Hightech-Medizin, in Wahrheit fehle es<br />

schon an saugkräftigen Windeln für Inkontinenz-Patienten.<br />

In Wahrheit gibt<br />

es beides, und Hightech-Medizin ist sicher<br />

nicht weniger wichtig als Inkontinenzvorlagen.<br />

Die Schulterschluss-Veranstaltung<br />

in Kiel fiel in den Wahlkampf. Und spätestens<br />

beim Thema Ulla Schmidt hätte<br />

Renate Hartwig eine politische Idee<br />

aufzeigen sollen. Nichts kam, buchstäblich<br />

nichts. Außer dem Vorschlag,<br />

am 13. September ins olympia-Stadion<br />

nach München zu fahren, um dort, wie<br />

schon im Juni 2008 ... ja, um dort was<br />

zu tun? Sich zu versammeln? Reden zu<br />

hören? Den Parteien zu drohen? Es war<br />

nicht zu erfahren. Ebenso wenig war zu<br />

erfahren, was die Bewegung denn nun<br />

in Schleswig-Holstein tun will; nicht<br />

ein ganzer Satz kam aus dem Auditorium.<br />

Stattdessen erklomm eine kleine<br />

Schar parteiloser Einzelbewerber für<br />

Landtags- und Bundestagswahl die<br />

Bühne und warb für sich. Dort standen<br />

ohne Zweifel respektable Menschen<br />

mit guten Absichten – aber Realpolitik<br />

sah bisher immer anders aus.<br />

Wem diese Bemerkungen zu negativ<br />

klingen, der möge sich selbst ein<br />

Bild machen: www.bürger-schulterschluss.de,<br />

www.schulterschluss-kiel.<br />

de, www.partei-frei.de Jörg Feldner,<br />

Zahnärzteblatt Schleswig-Holstein 10/2009 l<br />

700 · ZKN mit teiluNgeN · 11 | 2009 11 | 2009 · ZKN mit teiluNgeN · 701<br />

foto: Dr. J. felDner

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