April 2009 als pdf herunterladen - Israelitische Kultusgemeinde Wien
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In der Nacht zum Donnerstag, den<br />
9. <strong>April</strong> <strong>2009</strong>, am Sederabend, ist<br />
die <strong>Wien</strong>er Lyrikerin Elfriede Gerstl<br />
gestorben. Sie gehört zu den unvergesslichen<br />
Persönlichkeiten des Wie -<br />
ner Kulturlebens, die, weil sie nicht<br />
viel Aufhebens um ihre eigene Person<br />
machte, im Leben wie im Literatur be -<br />
trieb ein poetisches Außenseiter da -<br />
sein führte. Wer hat sie nicht gekannt,<br />
wie sie tagtäglich wie ein bunter<br />
Schmetterling durch die <strong>Wien</strong>er Kaf -<br />
fee hausszene flatterte, nirgends lang<br />
verweilend, aber immer wieder ins<br />
Café Korb zurückkehrend, das ihr<br />
Stammlokal war. Sie war eine Städterin<br />
und eine Kosmopolitin, elegant,<br />
geistreich, witzig, kurz: eine klassische<br />
Vertreterin der <strong>Wien</strong>er Kaffee -<br />
hausliteratur. Elfriede Gerstl war eine<br />
meisterin der pointierten, knappen<br />
For mulierung. Ihre Gedichte und<br />
kurzen Prosastücke bieten sich geradezu<br />
an, zwischendurch im Kaffee -<br />
haus gelesen zu werden, nicht weil es<br />
sich um eine leichte Lektüre handelt,<br />
sondern weil sie es verstanden hat, das<br />
Wesentliche sehr klar und ohne überflüssige<br />
Worthülsen auszudrücken.<br />
Sie hatte jedoch auch noch andere<br />
Leidenschaften außer der Literatur.<br />
So war sie eine manische Sammlerin<br />
nicht nur von Büchern, sondern auch<br />
von Kleidern. Unvergesslich bleiben<br />
für jeden, der einmal bei ihr zu Gast<br />
war, die literarisch-philosophischen<br />
Soiréen in ihrem Kleiderdepot. Bei ei -<br />
nem Glas Wein wurde in der Tradi-tion<br />
der <strong>Wien</strong>er Salons philosophische<br />
Konversation betrieben, aber es wurden<br />
auch ihre unzähligen Kleider aus<br />
verschiedenen Epochen begutachtet<br />
und probiert und das eine oder andere<br />
Stück, falls sich Elfriede Gerstl schweren<br />
Herzens davon trennen konnte,<br />
erworben. In ihrem in der Edition<br />
Split ter erschienenen Buch „Klei der -<br />
flug“ reflektiert die Dichterin ihre<br />
Sammelleidenschaft, die für sie wie ein<br />
„Trostpflaster“ wirkte, denn „Sammlungen<br />
wachsen wie Hühner augen, ir -<br />
gend einen Schmerz oder Druck mildernd/<br />
ab polsternd.“ Über ihr Judentum und<br />
ihre schwere Kindheit hat Elfriede<br />
Gerstl sonst selten gesprochen. Sie<br />
über lebte die Kriegsjahre mit ihrer<br />
mut ter in <strong>Wien</strong> <strong>als</strong> „U-Boot“ in verschiedenen<br />
Wohnungen versteckt.<br />
Klei der oder vielmehr der Verlust der<br />
Kleider erscheinen in ihrem Gedicht<br />
KULTUR<br />
Nachruf - Elfriede Gerstl<br />
VON GABRIELE KOHLBAUER-FRITZ, Jüdisches Museum <strong>Wien</strong><br />
„Kleiderflug“ <strong>als</strong> metapher jüdischer<br />
Existenz.<br />
„1942 packte mutter den kleinen fluchtkoffer<br />
schwarze tuchmäntel aus den 30ern<br />
zurücklassend<br />
wir werden nicht mehr soviel brauchen<br />
sagt sie für mich merkwürdig rätselhaft<br />
nie mehr beim zwieback kleider kaufen<br />
beim süssen mädel mäntel und hüte<br />
anfangs kam die hausschneiderin ins versteck<br />
die aus zwei kleidern eines nähte<br />
eines rosa-hellblau ich war gewachsen<br />
weg mit dem ozelotmäntelchen nicht auffallen<br />
nichts zum bügeln nichts mit schleifen<br />
die strickjacken – das wollkleid – anstatt heizen<br />
in der kälte im bette anzubehalten“<br />
Eine Installation des „Kleiderflugs“<br />
<strong>als</strong> Karussell war eines der Highlights<br />
in der Ausstellung „Beste aller Frau -<br />
en. Weibliche Dimensionen im Juden -<br />
tum“, die 2007 im Jüdischen mu seum<br />
<strong>Wien</strong> und anschließend im Jüdischen<br />
museum Frankfurt gezeigt wurde<br />
(Foto). Es war nicht leicht, die Instal -<br />
la tion so zu gestalten, wie El frie de<br />
Gerstl sie sich vorgestellt hatte. Sie<br />
wusste eben ganz genau, was sie wollte.<br />
So sanft und charmant sie bei jeder<br />
Begegnung wirkte, so unerschütterlich<br />
hielt sie an ihrem künstlerischen An -<br />
spruch fest.<br />
Erst in den letzten Jahren erhielt die<br />
Dichterin die offizielle Anerkennung,<br />
die ihr schon viel früher zugestanden<br />
hätte: 1999 wurden ihr der Erich-Fried-<br />
Preis und der Georg-Trakl-Preis verlie -<br />
hen, 2003 erhielt sie die Goldene Ehren -<br />
me daille der Stadt <strong>Wien</strong>, 2004 den Ben-<br />
Witter-Preis und 2007 den Heimrad-<br />
Bäcker-Preis.<br />
Ihr einziger Roman „Spielräume“<br />
er schien 1977 in der edition neue texte<br />
und wurde 1993 vom Grazer Lite ra -<br />
turverlag Droschl wiederaufgelegt.<br />
Ebenfalls im Droschl-Verlag erschienen<br />
unter anderen auch ihre Bücher<br />
„<strong>Wien</strong>er mischung“ (1982), „neue<br />
wiener mischung“ (2001) und „mein<br />
papierener garten“ (2006). In der Edi -<br />
tion Splitter in <strong>Wien</strong>, von Batya Horn<br />
mit viel Engagement betrieben, wurden<br />
ihr Jugendbuch „Die fliegende<br />
Frieda“ (1998) mit Illustrationen von<br />
Angelika Kaufmann und 1995 be sag -<br />
ter „Kleiderflug“ (in einer er wei ter ten<br />
Auflage auch 2007) veröffentlicht.<br />
Sonderprogramm<br />
zum 10 jährigen Bestehen<br />
der Gedenkstätte Karajangasse<br />
5. Mai <strong>2009</strong>, 17 Uhr<br />
IRMA TRKSAK<br />
Die authentische Erzählung einer<br />
Widerstands kämpferin und Überlebenden<br />
von Ravensbrück<br />
Pause mit koscherem Buffet<br />
In der NS-Zeit verbotene Musik und Texte<br />
präsentiert von SchülerInnen des Brigittenauer<br />
Gymnasiums<br />
EINTRITT FREI<br />
1200, Karajangasse 14<br />
<strong>April</strong> <strong>2009</strong> - Nissan/Ijar 5769 43