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Berliner Zeitung 21.02.2019

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<strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 44 · D onnerstag, 21. Februar 2019 3 *<br />

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Stromausfall in Köpenick<br />

Bürgermeister<br />

im<br />

Nachteinsatz<br />

Igel lobt die Köpenicker<br />

für ihren Zusammenhalt<br />

VonNorbertKoch-Klaucke<br />

Stromausfall –dieses eine<br />

Wort ist am Mittwoch in<br />

Köpenick überall zu lesen.<br />

„Guten Morgen +<br />

Tag, aufgrund des Stromausfalls<br />

bleibt die Schule heute geschlossen“,<br />

heißt es an der Tür zum<br />

evangelischen Gymnasium in<br />

der Straße Grüne Trift im Ortsteil<br />

Wendenschloß. Die 600 Schüler<br />

dürfen zu Hause bleiben.<br />

„Stromausfall“ steht auch wenige<br />

HundertMeter weiter an der<br />

Tür zum Rewe-Markt in derWendenschloßstraße.<br />

Dahinter ist es<br />

tief dunkel. Beim nahe gelegenen<br />

Edeka heißt es hingegen: „Aus<br />

technischen Gründen geschlossen.“<br />

Und der Facharzt für Inneresbittet<br />

um Verständnis,dass er<br />

heute keine Patienten behandeln<br />

könne. „Stromausfall“. Dieses<br />

Wort ist Begründung genug. Es<br />

bedeutet für<br />

31 500 Haushalte<br />

und<br />

1920 Gewerbetreibende<br />

in Köpenick:<br />

kein Licht,<br />

keine Heizung,<br />

kein<br />

warmes Wasser.<br />

Kein Kaf-<br />

Uta Wiedow sagt:<br />

„Auf der Allende- fee am Morgen,<br />

kein<br />

Brückeliegt<br />

ein Fluch.“ warmes Essen<br />

am Mittag.<br />

Kein Telefon, kein Computer.<br />

Am Dienstag, Punkt 14.10<br />

Uhr, gingen in den Wohnungen<br />

und Geschäften in der Altstadt, in<br />

Bohnsdorf, Grünau, Müggelheim,<br />

Schmöckwitz und Wendenschloß<br />

die Lichter aus, wurden<br />

die Bildschirme schwarz, fielen<br />

die Tiefkühltruhen in den Supermärkten,<br />

Restaurants und<br />

privaten Haushalten aus,blieben<br />

die Straßenbahnen stehen.<br />

„Stromausfall“, rien ne va plus,<br />

nichts geht mehr.<br />

Ganz stimmt das nicht. An der<br />

Tür zur Apotheke in der Wendenschloßstraße<br />

fordert ein Zettel<br />

optimistisch auf: „Bitte klopfen“.<br />

Katrin Mika kommt sofort<br />

angeeilt und öffnet. Die Apothekerin<br />

und ihre Pharmazeutischtechnische<br />

Assistentin Anja Gothow<br />

halten die Stellung – solange<br />

es hell ist.<br />

DieHeizung geht nicht, es gibt<br />

kein Licht, die elektronischen<br />

Waagen für die Rezepturen funktionieren<br />

nur mit Strom. Einfach<br />

schließen könne sie nicht, sagt<br />

Katrin Mika. Dann holt sie die<br />

BLZ/KATRIN BISCHOFF<br />

Rote Liste hervor, ein fast 2000<br />

Seiten dickes Buch, in dem die<br />

Preise für die verlangten Medikamente<br />

stehen. So sieht analoges<br />

Arbeiten in einer Apotheke aus.<br />

Katrin Mika läuft zum Kühlschrank.<br />

Darin lagern normalerweise<br />

die Medikamente, die gekühlt<br />

werden müssten. Die Apothekerin<br />

hat den Inhalt am<br />

Dienstagnachmittag zusammen<br />

mit ihrem Mann in drei Großhandelskisten<br />

nach Hause gefahren,<br />

ins Märchenviertel nahe<br />

dem Köpenicker Bahnhof. Es ist<br />

nicht vom Blackout betroffen.<br />

Die Medikamente liegen jetzt in<br />

einem Kühlschrank im Keller.<br />

Es klopft. Ruth Schmoller ist<br />

die vierte Kundin an diesem Vormittag.<br />

Sie ist 82. Ein Kriegskind,<br />

wie sie sagt. Alles nicht so<br />

schlimm mit dem Stromausfall,<br />

winkt sie ab. Sie wohnt in einem<br />

Mehrfamilienhaus in der Nachtheide.<br />

Den dunklen Abend ohne<br />

Strom hat sie mit 16 Teelichtern<br />

erhellt. Undruhig sei es gewesen,<br />

schwärmt sie. „Offenbar können<br />

die Menschen nur mit Strom<br />

Krach machen.“ Sie hat zudem<br />

das Glück, einen Gasherd zubesitzen.<br />

Warmes Wasser? Kein<br />

Problem. Kaffee? Klar doch.<br />

Neugierige an der Baustelle<br />

An der wegen Baufälligkeit gesperrten<br />

Allende-Brücke, ander<br />

ein Bagger am Dienstag zwei Kabel<br />

durchbohrte und so halb Köpenick<br />

stromlos machte,<br />

herrscht Sonntagsstimmung.<br />

Menschen spazieren zur Baustelle,<br />

ander eine neue Brücke<br />

entstehen soll. Man plauscht<br />

miteinander. Viele Kinder sind<br />

dabei, die nicht zum Unterricht<br />

mussten, weil 18 Schulen im Bezirk<br />

geschlossen blieben. Sie<br />

schauen interessiert auf die riesige<br />

graue Plastikplane,unter der<br />

Techniker versuchen, die 110-Kilowatt-Kabel<br />

wieder zusammenzuknüpfen.<br />

„Die meisten Schaulustigen<br />

wollen wissen, ob wir es<br />

bis 15 Uhr wieder hinbekommen“,<br />

sagt ein Bauarbeiter.<br />

Uta Wiedow ist mit dem Rad<br />

gekommen. Ihre Chefin habe sie<br />

geschickt, um zu hören, wann es<br />

denn nun endlich wieder Strom<br />

geben werde, sagt die 46-Jährige.<br />

UtaWiedowarbeitet in einer Grafik-<br />

und Designagentur in der Altstadt.<br />

Sie selbst wohnt nicht im<br />

„Dunkelbereich“ Köpenicks.<br />

„Aber arbeitstechnisch ist das<br />

hier wirklich nicht mehr lustig.“<br />

Bitte<br />

klopfen<br />

Kein Licht, keine Heizung, kein<br />

warmes Wasser,keine Klingel und<br />

das Handy ist auch schon leer:<br />

31 Stunden Köpenick ohne Strom<br />

A113<br />

1km<br />

VonKatrin Bischoff<br />

Umspannwerk Landjägerstr.<br />

A117<br />

Langer See<br />

Adlergestell<br />

Stromausfall −<br />

betroffenes Gebiet<br />

Müggelheimer Damm<br />

A10<br />

Großer<br />

Müggelsee<br />

Zeuthener See<br />

Krossinsee<br />

Seddinsee<br />

BLZ/REEG<br />

DPA/JÖRG CARSTENSEN<br />

Gerade in einem so schnelllebigen<br />

Geschäft, in dem sie arbeite.<br />

Wiedow erzählt, dass sie am<br />

Dienstag noch Scherze gemacht<br />

hätten, weil der Strom bestimmt<br />

nur zehn Minuten wegbleiben<br />

würde. Nun gehen sie und ihre<br />

Kollegen ins Pentahotel hinter<br />

der Langen Brücke,woesWärme<br />

und funktionierende Steckdosen<br />

gibt, um ihre Handys und Laptops<br />

aufzuladen. „Auf der Allende-Brücke<br />

liegt ein Fluch, erst<br />

die Sperrung und die damit einhergehenden<br />

Staus,dann die gekappten<br />

Stromleitungen“, sagt<br />

die Projektmanagerin kopfschüttelnd.<br />

Es sei schon unglaublich,<br />

wie die Nerven der Köpenicker<br />

strapaziertwürden.<br />

In der Altstadt herrscht eine<br />

ähnliche Stimmung wie an der<br />

Baustelle – gesellige Gelassenheit.<br />

Fremde Menschen erzählen<br />

sich, wie sie ohne Strom die<br />

Nacht verbracht haben. An fast<br />

jedem Geschäft, jedem Lokal, jeder<br />

Arztpraxis ist das Stromausfall-Entschuldigungs-Schild<br />

angepinnt.<br />

Vordem Rathaus steht<br />

ein auffallend gelbfarbener Laster<br />

vom Katastrophenschutz des<br />

Arbeiter-Samariter-Bunds. Hier<br />

können Köpenicker ihre Handys<br />

aufladen lassen. EinNotstromaggregat<br />

liefertden nötigen Saft.<br />

Es dauertdann doch länger<br />

Caroline Gehring will ihr Handy<br />

abgeben. Ihr achtjähriger Sohn<br />

Jonas ist dabei. Sie erzählt, dass<br />

sie am Abend Bücher angeschaut<br />

hätten. Bei Kerzenschein. „So<br />

kann ich Jonas nahebringen, wie<br />

es früher war.“<br />

Andrea Engel, 62, sagt: „Kein<br />

Strom, kein Telefon. Deswegen<br />

bin ich mit dem Handy hier.<br />

Schließlich kann immer etwas<br />

geschehen.“ Sie holt gerade ihr<br />

Smartphone wieder ab, das eine<br />

halbe Stunde an der Steckdose<br />

hing. DerAkku ist nun zur Hälfte<br />

geladen. „Das genügt“, sagt sie.<br />

Da weiß sie noch nicht, dass<br />

die Reparatur länger dauernwird.<br />

Kurz vor 15 Uhr teilt Vattenfall<br />

mit, dass es bei 15 Uhr nicht<br />

bleibt. Erst um 21.17 Uhr gehen<br />

in Wendenschloß und Grünau<br />

die Lichter an – die letzten in<br />

Köpenick.<br />

Katrin Bischoff verbrachte<br />

den Dienstagabend mit ihrem<br />

Mann bei Kerzenlicht.<br />

Der Stromausfall forderte<br />

seine ganzeEnergie.Bezirksbürgermeister<br />

Oliver Igel (SPD)<br />

war während der Havarie die<br />

ganzeNacht hindurch im Einsatz,<br />

organisierte Hilfe für betroffene<br />

Bürger.Erst am Mittwochmorgen<br />

ging er für ein paar Stunden nach<br />

Hause. Auf der Heimfahrt nimmt<br />

er sich noch Zeit für ein Telefonat.<br />

„Die Köpenicker haben gezeigt,<br />

dass sie in schwierigen Situationen<br />

zusammenhalten“, sagt er im<br />

Gespräch mit der <strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong>.„Inunserer<br />

Gesellschaft darf<br />

man in Notlagen nicht nur auf<br />

sich selbst achten, sondern muss<br />

sich um seine Mitmenschen<br />

kümmern, vor allem um Ältere<br />

und Schwächere.“<br />

Als imRathaus in der Köpenicker<br />

Altstadt am Dienstagnachmittag<br />

die Lichter ausgingen, versuchte<br />

Igel noch, mit einer batteriebetriebenen<br />

Not-Lampe etwas<br />

Licht auf seinem Schreibtisch zu<br />

bringen. „Daauch keine Telefone,<br />

kein Internet funktionierten, zogen<br />

wir mit zehn Mitarbeitern in<br />

ein Dienstgebäude nach Baumschulenweg,<br />

wo es Stromgab.“<br />

Von dort habe er Kontakt zu<br />

Feuerwehr und Polizei gehalten,<br />

habe bei Hilfsorganisationen Unterstützung<br />

angefordert. Mit dem<br />

DRK wurde eine Notunterkunft<br />

mit 200 Betten eingerichtet, um<br />

Köpenickern, bei denen die Heizung<br />

ausgefallen war,eine warme<br />

Unterkunft anzubieten. „Außerdem<br />

wurden Schulen, wo es<br />

Strom gab, zuOrten umfunktioniert,<br />

wo sich Köpenicker aufwärmen,<br />

telefonieren oder ihr Handy<br />

aufladen konnten“, berichtet Igel.<br />

In der Nachtinformierte er per<br />

Facebook über die aktuelle Lage,<br />

forderte Köpenicker auf, Nachbarn<br />

zufragen, ob sie Hilfe benötigen.<br />

Zwei Bürgertelefone ließ er<br />

einrichten. „Die wurden rege in<br />

Anspruch genommen“, sagt Igel.<br />

„So rief eine junge Familie an. Sie<br />

brauchte Strom für eine Atmungsunterstützungspumpe<br />

für<br />

ihr Baby.Wir halfen mit Akkus.“<br />

„Hätte nicht passieren dürfen“<br />

Für eine Bibliothek musste ein<br />

Wachschutz organisiert werden,<br />

weil das elektronische Schloss<br />

nicht mehr funktionierte und das<br />

Gebäude offen stand.<br />

Am Ende des Gesprächs, das<br />

kurzzeitig unterbrochen wird,<br />

weil Igel durch eine Gegend fährt,<br />

in der das Netz wegen des Stromausfalls<br />

nicht funktioniert, gibt es<br />

etwas Kritik. Für ihn sei es ein Unding,<br />

dass bei Arbeiten an der Salvador-Allende-Brücke<br />

zwei wichtige<br />

Stromleitungen gekappt wurden,<br />

sagt er. Schließlich gebe es<br />

Pläne,auf denen steht, wo die liegen.<br />

„Das hätte nicht passieren<br />

dürfen“, sagt der Bürgermeister.<br />

„Wir können zum Mond fliegen.<br />

Da darf man auch erwarten, dass<br />

man mit Kabelplänen richtigumgehen<br />

kann.“<br />

Kümmertsich: Oliver Igel, Bürgermeister<br />

von Treptow-Köpenick.<br />

DPA

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