Veröffentlichungsreihe der Forschungsgruppe ... - WZB
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ABSTRACT<br />
I<br />
Die Soziologie hat die Gesundheit im Kontext <strong>der</strong> Medizin<br />
mittels zweier systemtheoretischer Ansätze unterschiedlich analysiert.<br />
Erstens betrachtet Talcott Parsons das Zusammenspiel<br />
Arzt-Kranker unter dem Gesichtspunkt <strong>der</strong> Reziprozität in gesellschaftlichen<br />
Handlungssystemen (Teleonymie) mit Schwerpunkt<br />
Gesundheit. Zweitens betrachtet Niklas Luhmann die binäre Handlungslogik<br />
<strong>der</strong> Medizin als auf Krankheit als Positivwert gerichtet,<br />
so daß Gesundheit sekundär wird.<br />
Diese beiden Auffassungen werden miteinan<strong>der</strong> dadurch verglichen,<br />
daß ihnen zunächst <strong>der</strong> Gesundheitsbegriff <strong>der</strong> Medizinsoziologie<br />
gegenübergestellt wird, <strong>der</strong> während des letzten<br />
Jahrzehnts diskutiert wurde. Er unterscheidet zwischen professioneller<br />
und öffentlicher Gesundheit, kontrastiert also<br />
klinische (Wie<strong>der</strong>)herstellung <strong>der</strong> Gesundheit mit gesundheitspolitisch<br />
gewährleisteter Prävention. Das dabei verwandte Bild<br />
des sozial Handelnden entspricht dem Homo Sociologicus.<br />
Diesem medizinsoziologischen Gesundheitsbegriff wird das<br />
Gesundheitsphänomen entgegengehalten. Anknüpfend an die<br />
komplexe Variante <strong>der</strong> medizinsoziologischen Lebensweisenforschung<br />
wird ein Bild des gesellschaftlichen Phänomens<br />
Gesundheit entworfen, das dieses als Alltag zeigt. Im Sinne<br />
Alfred Schütz' wird argumentiert, daß Gesundheit fraglos gegeben<br />
ist, solange man sie "hat", also erst thematisiert wird,<br />
wenn sie problematisch ist, d.h. "fehlt". Dieser Alltagscharakter<br />
<strong>der</strong> Gesundheit wird alternativ zum medizinsoziologischen<br />
Begriff <strong>der</strong> "Lebensweisengesundheit" zunächst aufgezeigt.<br />
Die nächste Frage ist, in welchem Verhältnis die neuerdings<br />
entstehenden Gesundheitswissenschaften zu dem als Alltag erkannten<br />
Gesundheitsphänomenen stehen. Public-Health-Medizin<br />
("New Public-Health")' wird durch ihre drei Bereiche beschrieben,<br />
nämlich Epidemiologie, Gesundheitsför<strong>der</strong>ung und<br />
Gesundheitspolitik und -Verwaltung. Ihr Bild des sozial<br />
Handelnden ist <strong>der</strong> Homo Sociologicus bzw. die Sozialperson im<br />
Sinne Emile Dürkheims. Der Public-Health-Medizin muß man die<br />
klinische Medizin gegenüberstellen. Deren Handlungslogik<br />
konzentriert sich auf den Einzelfall, <strong>der</strong> in <strong>der</strong> Praxis<br />
diagnostisch-therapeutisch vorkommt. Die klinische Medizin<br />
unterscheidet sich also entscheidend von <strong>der</strong> Public-Health-<br />
Medizin; die zwei Formen <strong>der</strong> Medizin stehen neben- bzw. gegeneinan<strong>der</strong>.<br />
Für den Vergleich zwischen den beiden wird die Frage herangezogen,<br />
welche Medizinform dem Phänomencharakter <strong>der</strong> Gesundheit<br />
angemessen(er) ist. Gegen die Gesundheitswissenschaften - und<br />
auch Luhmann - wird argumentiert, daß die "Public-Health"-Maßnahmen<br />
Gesundheit als Alltagsphänomen weniger unberührt lassen<br />
und daher stärker zurückdrängen und beschränken als die<br />
klinische Medizin. Das heißt: Wenn die Gesundheit als das A l l <br />
tagsphänomen gewahrt werden soll, das sie "ist", ist die Ausdehnung<br />
des Gesundheitsdenkens in die Alltagsbereiche des gesellschaftlichen<br />
Lebens hinein problematisch. Vor diesem<br />
Hintergrund muß man die Medikalisierung <strong>der</strong> Gesellschaft<br />
(Ausdehnung medizinischer Sichtweisen auf alle Lebensbereiche)