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Veröffentlichungsreihe der Forschungsgruppe ... - WZB

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Konzentrationslagern vielfach Gesundheit von den Häftlingen<br />

vorgetäuscht und von den Kapos ohne Umschweife zudiktiert, denn<br />

dies half, die verbleibenden Überlebenswege für sich selbst zu<br />

nutzen. In diesem Sinne kann zur Schau getragene o<strong>der</strong> unter­<br />

stellte Gesundheit durchaus politisch und auch ideologisch<br />

sein. Sie erfor<strong>der</strong>t also die Skepsis des Sozialwissenschaftlers<br />

o<strong>der</strong> Arztes, <strong>der</strong> ihre Vor<strong>der</strong>gründigkeit entlarvt. Man sollte<br />

dabei nicht nur die ideologische Doppelgestalt feststellen und<br />

daraufhin beispielsweise effektive Kontrollen <strong>der</strong> Individuen<br />

anraten o<strong>der</strong> einleiten. Son<strong>der</strong>n die Erkenntnis, daß ein Herr­<br />

schaftssystem sich des Gesundheitsphänomens zur Unterdrückung<br />

<strong>der</strong> Bürger bedienen kann, muß zu aktiven Schritten zugunsten<br />

<strong>der</strong> Bedrängten führen, die zunächst im Rahmen <strong>der</strong> institutio­<br />

nellen Medizin verbleiben. Gestörte Gesundheit muß zuvör<strong>der</strong>st<br />

medizinisch behandelt werden; daran kann sich - außerhalb <strong>der</strong><br />

ärztlichen Versorgung - Hilfe in <strong>der</strong> persönlichen Lebensführung<br />

anschließen (Nahrung, Wohnung, Arbeit etc.). Durch<br />

Zusammenarbeit zwischen Medizin und sozialen Diensten kann als<br />

politische Aufgabe das Alltagsphänomen Gesundheit allgemein und<br />

berechtigtermaßen im zwischenmenschlichen Geschehen (wie<strong>der</strong>)<br />

hergestellt werden, wenn eine Gesellschaft aus dem totalitären<br />

LebensZusammenhang herausfindet.<br />

Die politische Dimension hat eine weitere Seite. Man kann sie<br />

an zwei Beispielen erläutern. Erstens zeigt das, was nach dem<br />

Reaktorunglück in Tschernobyl geschah und nicht geschah, eine<br />

bemerkenswerte Beson<strong>der</strong>heit des Alltags. Die Sowjetbürger<br />

setzten zunächst offenbar fraglos voraus, daß ihre Regierung<br />

sie informieren und zur Räumung <strong>der</strong> verseuchten Umgebung auf­<br />

for<strong>der</strong>n würde, wenn die Gefahr bedrohlich wäre. Die regierungs­<br />

amtlichen Verlautbarungen verharmlosten indessen die<br />

Katastrophe, und heute leiden Hun<strong>der</strong>ttausende an Krebs und<br />

an<strong>der</strong>en Erkrankungen, wobei sie weiterhin in den verseuchten<br />

Gebieten leben und dort verseuchten Nahrungsmitteln, Häusern<br />

etc. ausgesetzt waren.<br />

Zweitens zeigt die Psychiatriepraxis in <strong>der</strong> ehemaligen<br />

Sowjetunion und auch DDR, daß Gesundheit bei politisch Ver­<br />

folgten negiert und zu Krankheit umgewandelt werden kann. Ab-

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