Herunterladen als PDF - Walter Peter Gerlach, Forschungsprojekte
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Mathematik, der Sprachtheorie, noch aus der damit zusammenhängenden Bedeutungstheorie, ja<br />
nicht einmal aus der Farbtheorie. Jedenfalls haben sich Kunsthistoriker kaum um diese Materie<br />
bemüht: Anthologien existieren, bibliographische Verzeichnisse liegen seit einiger Zeit vor und<br />
neuerdings von Wolfgang Kemp eine Geschichte, die auf die pädagogisch-didaktischen Aspekte<br />
dieses Problems genauer und systematisch eingeht. 36<br />
Nun hatte sich andererseits im 19.Jahrhundert eine andere Wissenschaft etabliert, die sich dieser<br />
Probleme annahm, die zuvor die Domäne der produktionsorientierten Kunstliteratur gewesen waren:<br />
die neuere Optiktheorie der menschlichen Wahrnehmung oder genauer: die Lehre von der<br />
Physiologie der Wahrnehmung. 37 Hier finden wir in der Tat alle jene Probleme wieder, die der<br />
kunsttheoretischen Tradition entstammen, das allerdings mit wesentlichen Unterschieden in den<br />
Prämissen:<br />
1. das Bild wird <strong>als</strong> bereits vorhanden angesetzt;<br />
2. das vorhandene Bild hat einen bereits definierten Inhalt.<br />
Eine besondere Gattung innerhalb der in diesen Theorien diskutierten Probleme stellte die "optische<br />
Täuschung" dar. An ihr wurden die verschiedenen Erklärungsversuche erläutert, die helfen sollten,<br />
sowohl den lichtmechanischen <strong>als</strong> auch den neurophysiologischen Teil der optischen Wahrnehmung<br />
zu ergründen. Beide Erklärungsobjekte finden sich hier nicht im Bilde und seiner Struktur, wie es der<br />
gleichzeitig entstehenden Kunstwissenschaft entsprach, sondern ganz im Gegenteil: Es sind<br />
Prozesse, die sich im vorerst unerreichbaren Inneren des Probanden, <strong>als</strong>o im Bewußtsein<br />
produzierenden Organismus vollziehen. Sie sind Teil jenes Streites, der darum ging, ob die Anlagen<br />
angeboren und unveränderlich oder aber durch kulturelle Einwirkungen modifizierbar seien. Die<br />
Vertreter beider Positionen waren dabei sicher, auf die Spuren der "inneren Natur" des Menschen zu<br />
stoßen, und damit zugleich, da sie diese <strong>als</strong> Spiegel der äußeren Natur auffaßten, auch<br />
entscheidende Bedingungen unserer Erkenntnismöglichkeiten über die äußere Natur, die Welt<br />
schlechthin zu finden hofften. Diese "täuschenden" Figuren, kleinformatig und unscheinbar,<br />
begleiteten die Geschichte der Wahrnehmungstheorie im 19. Jahrhundert. Nimmt man sie einmal wie<br />
Gemälde wahr, so muten sie wie die Belegstücke einer Vorgeschichte der gegenstandslosen Malerei<br />
an, in der alle bedeutenden Werke bereits von meist anonymen Graphikern vorweggenommen<br />
erscheinen. Allerdings hatten uns unbekannte Wahrnehmungstheoretiker deren Form im Entwurf<br />
bestimmt 38 (Abb. 13 und Abb. 14).<br />
So liegt es nahe, <strong>als</strong> "Gegenstand" der beginnenden abstrakten Malerei eben jene "innere Natur" des<br />
Menschen zu vermuten. Das sind u.a. jene Wahrnehmungsbedingungen, die über elementare<br />
Bildformen vermittelt dem Menschen zu Gesicht und Bewußtsein kommen, wenn er sie wie in einem<br />
Spiegel, <strong>als</strong> Bilder, vor sein Auge gehalten bekommt. Sie sind dann gleichsam Außenprojektionen<br />
seines mechanischen und neuronalen Wahrnehmungsapparates. 39<br />
Zur Bekräftigung unserer Argumente, gerade im Zusammenhang mit Malewitschs Schwarzem<br />
Quadrat die scheinbar entlegene Wahrnehmungstheorie zu zitieren und die im Bilde enthaltene<br />
Kunsttheorie <strong>als</strong> Paraphrase der platonischen Schöpfungsgeschichte zu interpretieren, muß noch auf<br />
folgende Umstände hingewiesen werden. Shadowa 40 verdanken wir den Hinweis auf eine russische<br />
Ausgabe von Wilhelm Wundts Grundriß der Psychologie (1874) und auf die Vermittlung der neuesten