Herunterladen als PDF - Walter Peter Gerlach, Forschungsprojekte
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immer wieder den Menschen und seine Sinneswerkzeuge zum Gegenstand des Fragens werden ließ.<br />
Ich will diesen Aspekt nur mit dem Hinweis auf ein vielzitiertes graphisches Blatt von William Hogarth<br />
andeuten: der Satire auf Kirby's Perspektive (um 1754) 7 . In diesem Blatt weist Hogarth durch<br />
Umkehrung eines wesentlichen Konstruktionselements der Zentralperspektive auf die Möglichkeiten<br />
zur Täuschung hin. Er zeigt, daß die Erkenntnismöglichkeit des Menschen entscheidenden<br />
Beschränkungen unterliegt. Das aber heißt nicht, daß Hogarth schon weitergehende Aspekte<br />
bedenken konnte, auf die erst Helmholtz aufmerksam machte: nämlich auf die Beziehung von zwei<br />
Dingen, und zwar genauer auf die Abhängigkeit der Wirkung des einen auf das andere.<br />
Hier nun sehe ich die entscheidenden Schritte, die in der Kunst des späten 19.Jahrhunderts vollzogen<br />
wurden: Nachahmung der Natur <strong>als</strong> "natura naturata" wird zum Umgang mit einer Natur <strong>als</strong> "natura<br />
naturans", jener Natur, die nicht fertig und vollständig vorfindlich ist, sondern die nach ihr<br />
innewohnenden Gesetzen ständig erst Erscheinungen erzeugt.<br />
Das aktive Glied in dieser Kette ist nun ab der Mensch selbst. Mit der Besinnung auf dessen äußere<br />
Natur hatte Alberti in der Kunsttheorie - <strong>als</strong> Proportionslehre oder Physiognomik - diese äußere<br />
Beschaffenheit des Menschen <strong>als</strong> Spiegelung auch des inneren Wesens verstanden. 8 Die gleiche<br />
Besinnung auf die äußere Natur ist demgegenüber aber auch die Ursache dafür, daß die<br />
naturwissenschaftlichen, z.B. optischen Gesetze, <strong>als</strong> Formulierungen externer Ereignisse<br />
(Umkehrung des Sehstrahls) in der Welt objektiv gegebener Gesetzmäßigkeiten aufgefaßt wurden.<br />
Der Reiz eines Blattes wie das von Hogarth bestand darin, die hohe Kunst - seine "ars", seine<br />
"Kunstfertigkeit" - auszuweisen: daß er nämlich mit seinen Mitteln etwas erzeugen kann, das die<br />
Natur übertrifft, weil durch sie selber nicht herstellbar, somit Dokument einer phantastischen Leistung<br />
menschlicher Einbildungskraft ist. So konnte die Überlegenheit des menschlichen Geistes bildlich von<br />
ihm demonstriert werden.<br />
Zwar verstand sich die experimentelle Physiologie der Optik in ihrem akademisch dominierten Teil<br />
zunehmend <strong>als</strong> Fortsetzung der Ästhetik seit Baumgarten und Hegel. Da sie sich aber mit<br />
Phänomenen der optisch sinnlichen Wahrnehmung befaßte, und sie theoretisch zu ergründen<br />
versuchte, ist sie entgegen ihrer eigenen Einschätzung zugleich <strong>als</strong> Fortsetzung bestimmter Teile der<br />
älteren Kunsttheorie anzusehen.<br />
Die älteren Erkenntnisse der Optik, wie Perspektive, gehörten weiterhin zur Grundlage der<br />
theoretischen Ausbildung eines jeden Künstlers. 9 Gerade aber die Sprengung des akademischen<br />
Kanons am Ende des 19.Jahrhunderts - etwa bei Cézanne 10 durch den Verzicht auf die<br />
Linearperspektive <strong>als</strong> bildkonstituierendem Moment - läßt uns zu Recht vermuten, daß die Künstler<br />
sich anderer Inspirationsquellen bedienen mußten, um das fortzusetzen, was die Impressionisten <strong>als</strong><br />
erste systematisch angegangen waren: nämlich die innere "Natur" des Menschen zu ergründen.<br />
Ein extremes Beispiel zu Beginn der abstrakten Kunst ist Malewitschs Schwarzes Quadrat von 1915 11