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Herunterladen als PDF - Walter Peter Gerlach, Forschungsprojekte

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die unwahrscheinlichste Folge und Struktur von Lienie <strong>als</strong> die selbstverständlichste aus, die sie im<br />

Detail betrachtet dann doch nicht ist. Im Gegenteil: erst aus der Kenntnis des hochgradig abstrakten<br />

Ganzen lassen sich durch scheinbar einfache Umkehrung elementare Produktionsschritte<br />

deduzieren. Auch dies erweist sich <strong>als</strong> ein klassisches Gauklerstück zeichnender Virtuosen mit<br />

beschränkt variablem Repertoire, deren Kunststückchen nur den kurzweilig verharrenden Betrachter<br />

in seinen betrügerischen Bann zu schlagen vermag.<br />

Von Kandinsky stammte 1926 die Forderung an die bildende Kunst und die Kunstwissenschaft, es der<br />

Musik und Architektur gleichzutun und sich ein analytisches Instrument zuzulegen, das eben aus<br />

Elementen graphischer Strukturierung überliefert sei: Punkt, Strich und Fläche (so auch der Titel der<br />

zum Buch überarbeiteten Grundlehre, die er in den Jahren von 1922 bis 1925 am Weimarer Bauhaus<br />

gelehrt hatte). Damit griff er auf einen Ansatz zurück, den bereits Leon Battista Alberti in der ersten<br />

Hälfte des 15. Jahrhunderts in die kunsttheoretische Literatur eingeführt hatte, der diese Elemente<br />

nach dem Lehrprinzip Euklids <strong>als</strong> Bausteine der objektiven, externen Welt beschrieb, deren sich der<br />

Künstler in Analogie zu bedienen hatte. So arbeitete schließlich jeder Zeichner und Kupferstecher<br />

noch in der differenziertesten Wiedergabe malerischer Effekte. Kandisnky jedoch war weniger an der<br />

herkömmlichen Tilgung jener elementaren geometrischen Formen gelegen, im Gegenteil bemühte er<br />

sich sie aus der dienenden Aufgabe zur autonomen Poesie zu nobilitieren, indem er ihren subjektiven<br />

"Klang" zur Sprache bringen wollte, für den, der sich ihrer physiognomischen Suggestion überließ.<br />

Scheinbar unberührt von der Gestalttheorie und der Lehre von den biologisch wirksamen optischen<br />

Erkennungszeichen folgte er jenen Experimenten, denen Malewitsch mit der Erkundung neuer<br />

Bedeutungsebenen innerhalb des autonomen abstrakten Wirkungsfeldes des Bildes ebenfalls aus der<br />

Spur gewesen war.<br />

Gemessen an den Erfolgen der Maysenbachschen Autotypie, dem strukturierten Punktefeld, und<br />

ihrem elektronischen Nachfolger, dem mechanisch erasterten Vomputerbild, lenkten Kandinsky und<br />

Malewitsch die Aufmerksamkeit vom metaphysischen Ursprung der geometrischen Elementarformen<br />

auf deren innerweltlichen Dimension: Sie machten diese zum unendlich manipulierbaren Medium<br />

unterhalb der Schwelle unserer Wahrnehmnung und damit erst eigentlich zu dem, <strong>als</strong> was die<br />

geometrischen Elementarformen ihrem platonischen Anfang nach gedacht worden waren: dort waren<br />

sie dem Denken Elemente jeglicher Welt, hier wurden sie zum optischen Medium jeglicher denkbaren<br />

synthetischen Weltkonstruktion. Diesen synthetischen Charakter seiner Bildkonstruktionen erklärte<br />

Kandinsky auf verblüffend einfache Weise in seiner aus Intuition und Berechnung konzipierten<br />

"praktischen Wissenschaft" 56 der Künste, indem er sie - z.B. den Punkt - anthropomorphisierte:<br />

"Materiell gedacht gleicht der Punkt einer Null. In dieser Null sind aber verschiedene Eigenschaften<br />

verborgen, die menschlich sind. In unserer Vorstellung ist diese Null - der gemetrische Punkt - mit der<br />

höchsten Knappheit verbunden, d.h. mit der größten Zurückhaltung, die aber spricht. So ist der<br />

geometrische Punkt in unserer Vorstellung die höchste und höchst einzelne Verbindung von<br />

Schweigen und Sprechen." 57

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