Herunterladen als PDF - Walter Peter Gerlach, Forschungsprojekte
Herunterladen als PDF - Walter Peter Gerlach, Forschungsprojekte
Herunterladen als PDF - Walter Peter Gerlach, Forschungsprojekte
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
gegenüber traditioneller akademischer Lehre. Gaben die Elementarformen noch bei Preissler 54 den<br />
Ort auf der Bildfläche an, wo das Abzubildende im imaginären Bildraum seinen Platz und seine<br />
Grenze hatte, wies er ihnen damit die Funktion zu, Wegweiser, Koordinaten der Reise der Phantasie,<br />
zugleich Gatter und Grenzen für die zeichnende Hand zu sein, der sie disziplinierend Einhalt geboten,<br />
um die Form nicht zu verlieren. Die Elementarformen blieben pädagogisches Instrumentarium ganzer<br />
Generationen von Zeichenlehrern für adlige, später vorrangig bürgerliche Kunstdilettanten, dessen<br />
ganzer Inhalt es war, die "Elemente" hinter einer illusionären Bilderwelt zu tilgen, sie zum Schweigen<br />
zu bringen, ihre Strktur zu eleminieren zugunsten einer durch die geometrische Elementarform mehr<br />
oder weniger wohlgeordnet wahrgenommenen Gegenständlichkeit. Zu Musterbildungen,<br />
Musterprägungen zu dienen, das war ihre überkommene Funktion: Einstm<strong>als</strong> Inbegiff kosmischer<br />
Ordnung und für die der Natur selbst verantwortlich, waren sie nun von ihrer hehren Abstammung<br />
depraviert. 55 Zu diesem noblen platonischen Ursprung führte kein Weg zurück.<br />
Längst hatte in der Produktenwelt vom Papierformat und der Fensterscheiben bis hin zur<br />
industrialisierten Bilderproduktion gegen alles schmückende Ornament vielfältig der Kanon<br />
elementarer geometrischer Formen vom Alltag Besitz genommen, barg der Bilderrahmen wie auch<br />
das technische Kalkül vorindustrieller und späterhin industrieller Produktion die geometrische<br />
Ordnung elementarer Abstraktion, <strong>als</strong> Rokoko, Romantik, ja noch selbst die Malerei des<br />
Impressionismus Kunst ausschließlich jenseits der elementaren Ordnung der Geometrie zu plazieren<br />
schienen. Indes konnte keine Notierung wissenschaftlicher Experimente mehr ohne die Sprache der<br />
Geometrie denkbar erscheinen, selbst in den Humanwissenschaften behauptete sie ihren Platz im<br />
Denken, <strong>als</strong> morphologisches Muster oder Muster der Morphologie. Dies war zugleich die Stunde der<br />
versuchsweisen Blicke in das Innere des Menschen, der kalkulierenden Schritte, um der Mechanik<br />
der Wahrnehmung aller dieser Errungenschaften auf die Spur zu kommen. Hier nun in der<br />
experimentierenden, empirisch argumentierenden Wahrnehmungsforschung gelangten der simple<br />
Punkt, die Linie und die regelmäßig begrenzte Fläche zu der Eigentlichkeit, die ihnen die Kunstlehre<br />
zuvor mit dem Hinweis auf das objektive Gegenüber standig bis zur völligen Tilgung abgesprochen<br />
hatte.<br />
Helmholtz und Wilhelm Wundt kehrten mit Hilfe der geometrischen Elementarformen den Blick um auf<br />
den Gegenpol aller zu erkennenden Welt: in die sie bedingenden Wahrnehmungsorganisationen. Nur<br />
muß eingeräumt werden, daß das Wesen der elementaren Formen das einer dienenden Magd blieb.<br />
Kein Psychologe hat je ihr Wesen zu charakterisieren unternommen, es sei denn mit dem Hinweis<br />
darauf, daß sie eben elementar seien und daher von einem geringen Grad an Komplexität - was<br />
nachgerade einer Tautologie gleichkommt. Für den Experimentator aber war das nun ein gewichtiges<br />
Argument. Das Experiment lasse sich jederzeit wiederholen, die Bedingungen seien von jedem<br />
Nachfolgeexperiment nicht zu unterscheiden, und die störenden Wirkungen nicht überprüfbarer<br />
Umwelteinflüsse seien somit weitgehend eliminierbar, die Reaktion der Probanten daher<br />
kontollierbarer. Und dennoch stellte sich <strong>als</strong>bald heraus, daß der Streit sich gerade an der<br />
notwendigen Interpretation entzündete, die elementaren Testbilder jedoch kaum noch einer<br />
Interpretation ob ihrer weltfernen Abstraktheit zugänglich schienen.<br />
Der humoristische Zeichner Wilhelm Busch machte sich darauf seinen ironischen Vers, gab er doch