3/05 - Akademie für Politische Bildung Tutzing
3/05 - Akademie für Politische Bildung Tutzing
3/05 - Akademie für Politische Bildung Tutzing
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
ten Einschaltquoten war nur eine Ausrede,<br />
die im Stoff begründet war. Die<br />
Sender erfüllten einfach ihre <strong>Bildung</strong>saufgaben<br />
nicht mehr.<br />
Geschichte<br />
„von unten“<br />
In seinem später trotzdem realisierten<br />
Film erzählt Storz Einzelschicksale als<br />
„Geschichte von unten“, nicht wie im<br />
Film „Der Untergang“ von oben her.<br />
Er wolle nicht belehrend sein mit der<br />
Frage „warum habt ihr nicht geholfen?“,<br />
da er nicht wisse, wie er sich<br />
selbst in dieser Zeit verhalten hätte.<br />
Zwölf Jahre Kadavergehorsam und<br />
sechs Jahre Krieg hätten schließlich<br />
Apathie in der Bevölkerung hinterlassen.<br />
Historiker Hans-Günter Hockerts:<br />
Entschädigung <strong>für</strong> einen Monat KZ-<br />
Haft verschwindend gering.<br />
Deutsches Modell der<br />
Wiedergutmachung<br />
Der Zeithistoriker Hans Günter Hockerts<br />
von der Universität München<br />
bilanzierte die „Wiedergutmachung<br />
nationalsozialistischen Unrechts“ aus<br />
historischer Sicht. Grundformen kritischer<br />
Aufarbeitung der NS-Vergangenheit<br />
seien die Entnazifizierung, die<br />
strafrechtliche Auseinandersetzung mit<br />
den Tätern, die institutionelle Neuordnung<br />
des politischen Systems, die Wiedergutmachung<br />
<strong>für</strong> Verfolgte und die<br />
kulturell vermittelten Formen der<br />
Umkehr gewesen. Letzteres seien die<br />
neue politische Kultur und die Erinnerungskultur<br />
in der Bundesrepublik.<br />
Wiedergutmachung definierte Hockerts<br />
als einen Sammelbegriff <strong>für</strong> die<br />
32<br />
Rückerstattung von geraubtem oder<br />
entzogenem Vermögen, die Entschädigung<br />
<strong>für</strong> Eingriffe in die Lebenschancen<br />
und Sonderregelungen vor allem<br />
bei der Sozialversicherung. Außerdem<br />
gehören noch die juristische Rehabilitierung,<br />
internationale Abkommen und<br />
die ideelle Wiedergutmachung der Erinnerungskultur<br />
dazu.<br />
Rückerstattung habe durch Gesetze in<br />
den drei Westzonen 1947-1949 und<br />
das Bundesrückerstattungsgesetz 1957<br />
stattgefunden. Die Entschädigung wurde<br />
ebenfalls durch verschiedene Gesetze<br />
zwischen 1949 und 1965 geregelt.<br />
In der Praxis sei es dabei oft zu<br />
einem „Kleinkrieg gegen die Opfer“<br />
gekommen, einige wie die Zigeuner,<br />
Zwangssterilisierte, Asoziale oder<br />
Homosexuelle seien abgelehnt oder<br />
einfach „vergessen“ worden. Auch sei<br />
die einmalige Entschädigung <strong>für</strong> einen<br />
Monat KZ-Haft immer bei 150 DM gelegen,<br />
also verschwindend gering ausgefallen.<br />
Internationale Abkommen gab es mit<br />
Israel 1953, mit elf westeuropäischen<br />
Staaten von 1959 bis 1964, mit Osteuropa<br />
nach der deutschen Einheit und<br />
durch die Stiftung „Erinnerung, Verantwortung<br />
und Zukunft“ im Jahre<br />
2000, dem so genannten Zwangsarbeiter-Fonds,<br />
in den Staat und Wirtschaft<br />
zusammen 10 Milliarden DM eingezahlt<br />
haben. Trotz des ständigen Konflikts<br />
zwischen angestrebter Gerechtigkeit<br />
und den bürokratisch-rechtlichen<br />
Verfahren könne nach Auffassung von<br />
Hockerts die deutsche Wiedergutmachung<br />
als Modell <strong>für</strong> andere Staaten<br />
dienen, nicht nur finanziell und als<br />
Baustein des „europäischen Gedächtnisses“,<br />
sondern auch in der Form der<br />
historischen Aufarbeitung.<br />
DDR-Alltag aus Sicht<br />
des Schriftstellers<br />
Über die „Staatliche Teilung und Lebenswelten<br />
in Ost und West“ erzählte<br />
Lutz Rathenow, Schriftsteller und Publizist<br />
aus Berlin. „Wir liebten Ost-<br />
Berlin und lehnten die Regierung ab,<br />
die es als Hauptstadt eines 1949 neu<br />
gegründeten Staates ansah.“ So schilderte<br />
er die Beziehung zu seinem<br />
Wohnort in seinem Buch „Ost-Berlin<br />
– Leben vor dem Mauerfall“. Respekt-<br />
los, kritisch und mit viel Ironie verarbeitete<br />
Rathenow das DDR-Regime<br />
zusammen mit den Fotos von Harald<br />
Hauswald in seinem 1987 erstmals erschienenen<br />
Buch. Der Schriftsteller<br />
wurde vom SED-Politbüro als Provokateur<br />
eingestuft und nur wegen seiner<br />
Bekanntheit nicht eingesperrt. Das<br />
Erscheinen seines Werkes im Westen<br />
wurde gar als „unfreundlicher Akt“<br />
angesehen. Um seinen Zuhörern die<br />
Lebenswelt des Ostens näher zu bringen,<br />
las Rathenow deshalb einige Passagen<br />
aus seinem Buch vor. Die DDR<br />
sei nicht nur der Staat gewesen, nicht<br />
Chronist der deutsch-deutschen<br />
Geschehnisse: Schriftsteller Lutz<br />
Rathenow<br />
nur die SED, sondern eben auch der<br />
Alltag der Bürger. Dieser Erfahrungshintergrund<br />
der Ostdeutschen könne<br />
heute Brücke zu Osteuropa sein. Er<br />
selbst fühle sich daher als „Zeitzeuge,<br />
Schriftsteller, Historiker und Chronist<br />
der deutsch-deutschen Geschehnisse“.<br />
Höherer<br />
Lebensstandard<br />
Die Frage „Wirtschaftswunder und<br />
Sozialstaat – von der Erfolgsgeschichte<br />
zur Europäischen Normalität?“ beschäftigte<br />
Christoph Buchheim (Universität<br />
Mannheim). Er verglich dabei<br />
die Entwicklungen in der BRD und der<br />
DDR. Das Volkseinkommen in Westdeutschland<br />
sei nach 1945 kontinuierlich<br />
gestiegen und die Beschäftigung<br />
in Landwirtschaft und Industrie zugunsten<br />
der Dienstleistungen stetig<br />
geschrumpft. Konstant stieg auch das<br />
Sozialprodukt, die Investitionen und<br />
das Produktionsniveau. Anfangs seien<br />
�<br />
<strong>Akademie</strong>-Report 3/20<strong>05</strong>