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3/05 - Akademie für Politische Bildung Tutzing

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<strong>Akademie</strong>gespräch im Landtag:<br />

Menschenwürde und Wirtschaftsordnung<br />

Der Journalist Nikolaus Piper sieht die Bürger zu stark in ihrer Autonomie<br />

reglementiert und dadurch die Menschenwürde in Gefahr<br />

Was macht eine Marktwirtschaft<br />

zu einer menschenwürdigenWirtschaftsordnung?<br />

Viele Deutsche hegen außergewöhnlich<br />

hohe Erwartungen an Staat<br />

und Wirtschaft. Beide sollen Freiheit,<br />

Sicherheit und Wohlstand garantieren,<br />

zugleich aber nicht zu stark werden.<br />

Erst jüngst wieder wurde die kapitalistische<br />

Wirtschaftsordnung mit Vergleichen<br />

aus der Tierwelt gescholten<br />

und gefordert, der Markt müsse gezähmt<br />

werden, müsse die Menschenwürde<br />

achten. Für Nikolaus Piper, Leiter<br />

des Wirtschaftsressorts der Süddeutschen<br />

Zeitung, hat eine menschenwürdige<br />

Wirtschaftsordnung vier Kriterien<br />

zu erfüllen: In aller erster Linie<br />

muss sie die Autonomie ihrer Bürger<br />

achten. Dazu gehört, dass deren Eigentum<br />

und Freiheit geachtet werden, damit<br />

die Bürger in eigener Verantwortung<br />

ihre wirtschaftlichen Belange regeln<br />

können. Der Staat muss sich auf<br />

ein Minimum an Einmischung und<br />

Reglementierung beschränken, wobei<br />

notwendige Einschränkungen unbedingt<br />

transparent und nachvollziehbar<br />

sein müssen. Zweitens muss eine menschenwürdige<br />

Wirtschaftsordnung sicherstellen,<br />

dass jeder Bürger auch in<br />

Notsituationen die Mittel <strong>für</strong> ein men-<br />

schenwürdiges Leben erhält. Doch es<br />

müsse ein Unterschied zwischen Handeln<br />

und Unterlassen bestehen, der<br />

nicht durch eine überbordende Sozialpolitik<br />

nivelliert werden dürfe.<br />

Schließlich zeichne sich eine menschenwürdige<br />

Wirtschaftsordnung<br />

durch Fehlertoleranz und Verlässlichkeit<br />

aus – beides Kriterien, die Piper<br />

gegenwärtig nicht erfüllt sieht.<br />

8<br />

Nikolaus Piper: „Keineswegs verstößt<br />

die Hartz IV-Reform gegen die<br />

Menschenwürde.“ Foto: Schröder<br />

Die Art und Weise, wie in Deutschland<br />

über Staat und Wirtschaft gedacht<br />

wird, ist <strong>für</strong> den Volkswirt eine deutsche<br />

Besonderheit, die uns deutlich<br />

von anderen Gesellschaften unterscheide.<br />

Das Denken in Ordnungen, so<br />

Piper, sei ein spezifisch deutsches Phänomen,<br />

das den historischen Erfahrungen<br />

geschuldet sei. Walter Eucken und<br />

„Föderalismus bedeutet<br />

Wettbewerb im Bundesstaat,<br />

die Möglichkeit von anderen zu lernen,<br />

sich an Benchmarks zu orientieren.“<br />

die Freiburger Schule der Ordo-Liberalen,<br />

in deren Lehre die Sicherung des<br />

Wettbewerbs und der Privatautonomie<br />

im Zentrum steht, betrachteten den<br />

Wirtschaftsliberalismus als gescheitert,<br />

da er das Problem wirtschaftlicher<br />

Macht nicht lösen konnte.<br />

Die bürgerliche Ordnung in Europa<br />

war nach dem Ende des Ersten Weltkriegs<br />

zusammengebrochen, die Kar-<br />

telle und Syndikate hatten den Wettbewerb<br />

unterdrückt und die Marktwirtschaft<br />

nach und nach ausgehöhlt. Den<br />

entstandenen Leerraum füllte der Staat<br />

mit einer willkürlichen und interventionistischen<br />

Wirtschaftspolitik, die<br />

durch die Nationalsozialisten auf die<br />

Spitze getrieben worden sei. Dieser<br />

Analyse des Verhältnisses von Markt<br />

und Staat habe Eucken das Denken in<br />

Ordnungen entgegengesetzt. Seitdem<br />

wurde die Marktwirtschaft nicht mehr<br />

nur einfach hingenommen, sondern zu<br />

einer gesetzten Ordnung, die der Staat<br />

zu schützen hatte: Er hatte den Wettbewerb<br />

und den Geldwert zu sichern<br />

und die Menschen durch eine marktkonforme<br />

Sozialpolitik vor Not zu bewahren.<br />

Unser heutiger hoher Erwartungsdruck,<br />

der auf dem Staat laste, sei<br />

Resultat dieser Entwicklungen, so Piper.<br />

Sozialabbau als Beitrag<br />

zur Menschenwürde?<br />

Sich dieser besonderen Ansprüche<br />

wieder gegenwärtig zu werden, weist<br />

<strong>für</strong> den Volkswirt Piper den Weg aus<br />

dem „verbreiteten Missmut in unserem<br />

Land“. Deutschland stehe vor der gewaltigen<br />

Aufgabe, eine vom Sozialstaat<br />

überlagerte Marktwirtschaft zu<br />

reformieren und klare Kriterien da<strong>für</strong><br />

zu finden, wie die notwendigen Reformen<br />

zu einer menschenwürdigen Sozial-<br />

und Wirtschaftsordnung führen<br />

können. Soweit nicht die Rechte anderer<br />

verletzt werden – das betonte<br />

Piper ganz im Sinne Euckens – müssen<br />

Menschen in der Lage sein, ihre<br />

wirtschaftlichen Belange in eigener<br />

Verantwortung selbst zu regeln. Wenn<br />

die Finanzierungskosten <strong>für</strong> den Sozialstaat<br />

die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit<br />

der anderen Bürger gefährde,<br />

könne der Sozialabbau sogar ein Beitrag<br />

zur Wahrung der Menschenwürde<br />

sein. Und nicht nur der: Auch der<br />

�<br />

<strong>Akademie</strong>-Report 3/20<strong>05</strong>

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