II. Fichtes öffentliche Lehre
II. Fichtes öffentliche Lehre
II. Fichtes öffentliche Lehre
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I. Einleitung: Kant und die Bedeutung<br />
der Rhetorik für die Metaphysik<br />
des deutschen Idealismus<br />
Die Metaphysik redet. Ihrer ‚ontotheologischen‘ Grundverfassung gemäß spricht sie<br />
vom ‚Sein‘, dem ‚Göttlichen‘ oder – in der Sprache der deutschen Idealisten – vom<br />
‚Absoluten‘. 1 Mit ihrer Berufung auf das Absolute beansprucht sie eine<br />
Vernunfteinsicht, die sie in den radikalen Gegensatz zu den Ansichten des<br />
gewöhnlichen Bewusstseins und der empirischen Wissenschaften setzt. Trotzdem<br />
haben Philosophen immer wieder den vermeintlich guten Rat, ihre ‚Sache‘ zum<br />
arheton zu erklären und sich in mystisches Schweigen zurückzuziehen,<br />
ausgeschlagen. Die Philosophiegeschichte bezeugt die vielfältigen Versuche der<br />
Metaphysik zu reden, zu lehren und die sie umgebende Lebenswelt öffentlich von<br />
ihrer Wahrheit zu überzeugen. Diese Stimme der Metaphysik, die die europäische<br />
Geistesgeschichte von Anfang an wesentlich bestimmt hat, ist heute zwischen den<br />
dominierenden Gegenstimmen der Anti- und Postmetaphysik nur noch vereinzelt zu<br />
hören und droht in der resignativen Rede vom ‚Ende der Philosophie‘ endgültig zu<br />
verklingen.<br />
Das gelehrte Absolute will dagegen das Dogma in Frage stellen, dass das<br />
wirkungsgeschichtliche Schicksal der Metaphysik bereits endgültig besiegelt sei, und<br />
noch einmal die Stimme des deutschen Idealismus in einer neuen Weise zur Geltung<br />
bringen. Dabei geht es nicht um eine restaurative Apologie der idealistischen<br />
‚Meisterdenker‘ und ihrer ‚Systeme‘. Im Gegenteil sollen Kant, Fichte und Schelling<br />
nicht als ‚Identitätslogiker‘, sondern als Denker der rhetorischen Differenz sichtbar<br />
werden. Als Gelehrte wagen sie es, öffentlich die Stimme der Metaphysik inmitten<br />
einer Moderne zu erheben, deren nihilistische Tendenzen sich bereits abzeichnen. Im<br />
Unterschied zum geschlossen wirkenden hegelschen System zeichnet sich ihre<br />
mehrfach veränderte <strong>Lehre</strong> durch eine schärfere Wahrnehmung für das ungelöste<br />
Grundproblem aus, die spekulative Vernunftwahrheit mit dem geschichtlichen Leben<br />
zu vermitteln. Aus dieser stärkeren Sensibilität für die extreme rhetorische Differenz,<br />
die zwischen der spekulativen Wahrheit der Metaphysik und den wissenschaftlichen<br />
Glaubwürdigkeitsstan-<br />
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1 Zur ontotheologischen Verfassung der Metaphysik s. M. Heidegger, Identität und Differenz, Pfullingen<br />
5 1976, 31–67.