II. Fichtes öffentliche Lehre
II. Fichtes öffentliche Lehre
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von Peitho und Aletheia paradigmatisch auf eine dreifache rhetorische Differenz, die<br />
die spekulative Rede innerhalb dieser Topographie zu überbrücken hat. Sowohl der<br />
Aufstieg, die Vergegenwärtigung der metaphysischen Vernunftwahrheit und<br />
schließlich der Wiederabstieg in die Lebenswelt haben einen persuasiven Charakter.<br />
Dabei lässt sich die spekulative Rede der Metaphysik jeweils in aszendierende,<br />
demonstrierende oder reszendierende Redeweisen unterteilen.<br />
Als aszendierende Rede steigt sie vom Standpunkt des gewöhnlichen Bewusstseins<br />
zu dem der spekulativen Philosophie auf und findet sich vorwiegend in Texten des<br />
propädeutischen Vernunftgebrauchs. Ein klassischer Text der Antike dieser<br />
„Überredung zur Einsicht“ 14 , der den persuasiven Charakter der philosophischen Rede<br />
sowohl vorführt als auch theoretisch reflektiert, bildet z. B. Platons Phaidros. Die<br />
demonstrative Rede, die sich in der rhetorischen Differenz zwischen dem<br />
transzendenten Absoluten und seiner sprachlichen Formulierung bewegt, überwiegt in<br />
den systematischen Texten des eigentlich spekulativen Vernunftgebrauchs. Die<br />
reszendierende Rede bildet dagegen die Inversion der aszendierenden. Sie durchläuft<br />
die rhetorische Differenz zwischen Normalität und Metaphysik in umgekehrter<br />
Richtung und versucht, der philosophischen Wahrheit in der geschichtlichen<br />
Lebenswelt allgemeine <strong>öffentliche</strong> Glaubwürdigkeit zu verschaffen. Texte dieses<br />
<strong>öffentliche</strong>n Vernunftgebrauchs sind z. B. der 7. Platonbrief, Kants berühmter Artikel<br />
Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung? oder Schellings Münchener Rede Über<br />
das Verhältnis der bildenden Künste zu der Natur. 15<br />
Die demonstrative Rede kämpft vor allem mit dem ‚sachlichen‘<br />
Darstellungsproblem der Metaphysik. Die rhetorische Differenz liegt in dieser<br />
Hinsicht zwischen der außersprachlichen Evidenz des Absoluten einerseits und den<br />
Formen seiner sprachlichen Aneignung im diskursiven Medium der Rede andererseits.<br />
Ein gutes Beispiel, in dem diese Differenz des Absoluten zur spekulativen Rede im<br />
Medium der Rede eigens reflektiert wird, findet sich im zweiten Vortrag von <strong>Fichtes</strong><br />
Wissenschaftslehre von 2 1804. Hier führt der Versuch einer ‚Darstellung des<br />
Absoluten‘ im Medium der spekulativen Rede schließlich zu <strong>Fichtes</strong> selbstkritischem<br />
Eingeständnis: „alles Aussprechen oder nachconstruiren = begreifen ist in sich<br />
mittelbar“ (GA<br />
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14 Vgl. H. Niehues-Pröbsting, Überredung zur Einsicht. Der Zusammenhang von Philosophie und Rhetorik bei<br />
Platon und in der Phänomenologie, Frankfurt a.M. 1987, 152–202.<br />
15 Vgl. P.L. Oesterreich, Philosophen als politische <strong>Lehre</strong>r, 120–169.