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II. Fichtes öffentliche Lehre

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in der Form der Begreiflichkeit und bewirkt gerade dadurch auf der anderen Seite die<br />

„absolute Trennung“ (GA I, 9, 96) des menschlichen Daseins vom Absoluten.<br />

In der Anweisung stellt Fichte wie wohl in keiner anderen Schrift neben der<br />

ungeheueren Produktivität auch die Destruktivität reflexiver Rationalität heraus. Als<br />

Grundgesetz des gegenständlichen Selbstbewusstseins wird die Reflexion im Lichte<br />

neutestamentlicher Leben-Tod-Symbolik geradezu als Todesprinzip geschildert. Jedes<br />

reflexive Wissen – so argumentiert Fichte – verlangt nämlich „das stehende und<br />

ruhende Seyn und Vorhandenseyn“ (GA I, 9, 97) dessen, was es begreifen will.<br />

Deshalb bewirkt der Begriff die „Verwandlung des unmittelbaren Lebens in ein<br />

stehendes und todtes Seyn“ (ebd.). Aus der reflexiven Zerspaltung des dem<br />

menschlichen Bewusstsein zugrunde liegenden Absoluten geht die Welt des Wissens<br />

hervor, und die Genesis des menschlichen Gegenstandsbewusstseins setzt geradezu<br />

den Tod des Absoluten voraus.<br />

Dieser inneren Tendenz des menschlichen Selbstbewusstseins zur<br />

Vergegenständlichung des absoluten Seins in einen „todten Begriff“ (GA I, 9, 57)<br />

verfallen nach Fichte auch die „Philosophen, fast ohne Ausnahme“ (ebd.). Ähnlich<br />

wie später Heidegger sieht schon Fichte in der abendländischen Metaphysikgeschichte<br />

eine Verfallsgeschichte, in der die vergegenständlichende Grundtendenz zu einer<br />

‚Ontologie der Vorhandenheit‘ vorherrscht. Das Verfehlen der ontologisch<br />

ursprünglichen Grundaufgabe, das „Seyn – als Seyn“ (GA I, 9, 87) zu denken, wird<br />

bei Fichte aber nicht seinsgeschichtlich, sondern transzendentalkritisch durch das<br />

Reflexionsprinzip erklärt. In der metaphorischen Rede der Anweisung heißt das:<br />

„Nicht im Seyn, an und für sich, liegt der Tod; sondern im ertödtenden Blicke des<br />

todten Beschauers“ (GA I, 9, 57).<br />

Insgesamt hat die kritische Ontologie der Anweisung ein zwiespältiges Resultat:<br />

Auf der einen Seite macht die Reflexion als Spaltungsprinzip den Hervorgang der<br />

Vielfalt der menschlichen Bewusstseinswelt aus der Einheit des göttlichen Seins<br />

begreiflich, auf der anderen Seite erklärt sie aber auch, warum innerhalb der<br />

Wissensform unseres gegenständlichen Selbstbewusstseins das Absolute notwendig<br />

unbegreiflich bleiben muss. Wesentlich ausführlicher und schärfer als in den<br />

Grundzügen hat Fichte damit in seiner Religionslehre die ‚begreifliche<br />

Unbegreiflichkeit‘ des Absoluten als Grundfigur seiner transzendentalkritischen<br />

Ontologie herausgearbeitet. 5 Die Anweisung gibt<br />

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5 Zu Gedankenfiguren der Selbstrelativierung des reflexiven Wissens bei Fichte und Schelling s.: L. Hühn,<br />

Fichte und Schelling oder: Über die Grenze menschlichen Wissens, Stuttgart 1994, insb. 107–141.

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