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II. Fichtes öffentliche Lehre

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lassen oder eingeebnet werden. Aber ihre Differenz wird nicht mehr von dem<br />

Gegensatz ‚Arhetorizität versus Rhetorizität‘ bestimmt, sondern von zwei<br />

gegensätzlichen Denkstilen, die die Rhetorik der Metaphysik von der der Sophistik<br />

unterscheiden.<br />

Historisch wie systematisch ist die Sophistik eine Reaktion auf diese<br />

Herausforderung durch die Metaphysik. Die spekulative Vernunft, die im Lehrgedicht<br />

des Parmenides beginnt, ihren wirkungsgeschichtlichen Herrschaftsanspruch zu<br />

verkünden, provoziert die Herausbildung einer Rationalitätsform, die die<br />

Alltäglichkeit gegen ihre paradoxale Wahrheit zu verteidigen sucht. Unter Verzicht<br />

auf transzendente Maßstäbe versucht sie, die permanente doxale Krise der<br />

menschlichen Lebenswelt immanent zu meistern. So tritt gegen die Frühform der<br />

metaphysischen Vernunft die Gegenform der sophistischen Rationalität auf, die sich<br />

in <strong>Lehre</strong>rgestalten wie Protagoras und Gorgias manifestiert.<br />

Im Unterschied zur ‚starken‘ Anthropologie der Metaphysik, die den Menschen als<br />

einsichtsfähiges Vernunftwesen entdeckt, vertritt die Sophistik eine ‚schwache‘<br />

Anthropologie, die im Menschen ein kurzsichtiges Meinungswesen sieht, das die<br />

wechselnden, situativen Ansichten der gewöhnlichen Lebenswelt gerade nicht zu<br />

übersteigen vermag. Durch ihre deszendente Rede neutralisiert die Sophistik die<br />

aszendente Rede der frühen Metaphysik und holt den Menschen aus dem Himmel des<br />

eleatischen Seinsdenkens radikal auf den Boden der Normalität zurück. So vertritt<br />

Protagoras gegen alle scheinbar uneinlösbaren theologischen und metaphysischen<br />

Wissensansprüche den vernunftkritischen Standpunkt:<br />

Über die Götter allerdings habe ich keine Möglichkeit zu wissen … weder daß sie sind, noch<br />

daß sie nicht sind, noch, wie sie etwa an Gestalt sind; denn vieles gibt es, was das Wissen …<br />

hindert: die Nichtwahrnehmbarkeit und daß das Leben des Menschen kurz ist (Frag. B 4).<br />

Auch der berühmte homo-mensura-Satz des Protagoras – „Aller Dinge Maß ist der<br />

Mensch, der seienden, daß (wie) sie sind, der nicht seienden, daß (wie) sie nicht sind.<br />

– Sein ist gleich jemandem Erscheinen“ (Frag. B 1) – darf deshalb nicht nur als<br />

Ausdruck eines hybriden Subjektivismus und Relativismus gelesen werden. Er ist<br />

auch Ausdruck des typisch sophistischen Realismus, der sich im Gegenzug gegen die<br />

ontotheologische Geistwelt der eleatischen Seinsdenker in der gewöhnlichen Existenz<br />

des Menschen etabliert. Aus der Perspektive eines ganz der täuschungsträchtigen<br />

sinnlichen Wahrnehmung und kurzen Lebenszeit unterworfenen Daseins muss jede<br />

Aussicht auf absolute Transzendenz versperrt bleiben.<br />

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