II. Fichtes öffentliche Lehre
II. Fichtes öffentliche Lehre
II. Fichtes öffentliche Lehre
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
30<br />
In der Aufgabe, die offensichtlichen Darstellungsprobleme der kantischen<br />
Philosophie zu lösen, sieht Fichte sofort seine eigentliche Bestimmung: „Ich werde<br />
dieser Philosophie wenigstens einige Jahre meines Lebens widmen; und Alles, was<br />
ich, wenigstens in mehreren Jahren von jetzt an schreiben werde, wird über sie seyn.<br />
Sie ist über alle Vorstellung schwer, und bedarf es wohl, leichter gemacht zu werden“<br />
(GA <strong>II</strong>I, 1, 171).<br />
Dabei soll die Aufhebung der Differenz zwischen philosophischer Spekulation und<br />
Leben vor allem der moralischen Dekadenz des Zeitalters entgegenwirken.<br />
Die Grundsätze derselben sind freilich kopfbrechende Speculationen, die keinen<br />
unmittelbaren Einfluß auf’s menschliche Leben haben; aber ihre Folgen sind äußerst wichtig<br />
für ein Zeitalter, dessen Moral bis in seine Quellen verdorben ist; und diese Folgen der Welt<br />
in einem anschaulichen Lichte darzustellen, wäre, glaube ich, Verdienst um sie (ebd.).<br />
Der Rhetorik und seinem persönlichen Talent zur Beredsamkeit misst Fichte bei der<br />
Lösung dieser von Kant offen gelassenen Aufgabe einer populären Philosophie eine<br />
Schlüsselposition zu. „Nach meinem Plane werde ich … Nichts thun, als eben diese<br />
Grundsätze populär, und durch Beredtsamkeit auf das menschliche Herz wirksam zu<br />
machen suchen. Diese Beschäftigung steht mit der Bestimmung eines Predigers in<br />
einer sehr nahen Beziehung“ (GA <strong>II</strong>I, 1, 172). Die Entdeckung der kantischen<br />
Philosophie führt bei Fichte also nicht zu einem Bruch mit der Rhetorik. Im Gegenteil<br />
soll durch ihre Integration der systematischen und gründlichen Philosophie endlich die<br />
– auch von Kant – gesuchte Popularität hinzugewonnen werden. Kant hatte sich vor<br />
allem durch seine Ablehnung der Beredsamkeit (ars oratoria), die er als „die Kunst zu<br />
überreden, d. i. durch den schönen Schein zu hintergehen“ (AA <strong>II</strong>I, 216)<br />
abqualifizierte, diesen Weg zur Verwirklichung des Ideals einer sowohl gründlichen<br />
als auch populären Philosophie selbst verlegt. 6 Fichte, der aufgrund von Neigung und<br />
Vorbildung ein<br />
{{ Seite 30 }}<br />
6 Trotz seiner kritischen Destruktion der zeitgenössischen Schulrhetorik ist das Verhältnis Kants zur<br />
Rhetorik-Tradition aber schon in seiner Kritik der Urteilskraft weit vielschichtiger als die oberflächliche<br />
Vorstellung des reinen Rhetorikverächters wahrhaben möchte. Neben der kritischen Destruktion der ars<br />
oratoria als ‚hinterlistiger Kunst‘ findet sich hier auch die Hochschätzung eines ‚Redners ohne Kunst‘, die<br />
sich auf Ciceros Ideal des vir bonus dicendi peritus beruft. Ferner entstammen zentrale Kategorien der<br />
ästhetischen Theorie Kants der klassischen Rhetorik, die zugleich von ihm eine aufschlussreiche,<br />
transzendental vertiefte Deutung erfahren. (Vgl. P. L. Oesterreich, „Das Verhältnis von ästhetischer Theorie<br />
und Rhetorik in Kants Kritik der Urteilskraft“.)