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II. Fichtes öffentliche Lehre

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Sinnlosigkeit und Selbstzerstörung hervorgehen. In Anspielung auf das platonische<br />

Höhlengleichnis entwirft sie die Dystopie einer Menschheit, deren „Auge,<br />

unvermögend, auf den Glanz des Göttlichen und der Wahrheit hinschauend, … immer<br />

auf das Nichtseyende hinblickt“ (ebd.). So spricht Schellings Rede vom Bösen nicht<br />

zuletzt von der Gefahr, dass das von der antiken Vernunft abgelöste Projekt der<br />

Moderne geradewegs zurück in die Gefangenschaft der platonischen Höhle führen<br />

könnte.<br />

In Schellings Freiheitsschrift vollzieht sich mit der Positivierung des Bösen<br />

zugleich eine Potenzierung der Kritik an der Moderne. Fichte diagnostizierte die Krise<br />

der ‚leeren Freiheit‘ im ‚Zeitalter der Sündhaftigkeit‘ noch als<br />

Reflexionsvergessenheit (privatio reflexionis) und damit lediglich als Mangel an<br />

Vernunft. Dagegen vertritt Schellings Grundfigur der perversio positiva die Einsicht,<br />

dass das radikal Böse gerade eine besondere Affinität zu höchster Intellektualität<br />

besitzt: Am meisten erweist sich der geniale Geist durch das Böse gefährdet. Im<br />

geistigen Enthusiasmus des Bösen werden die dämonischen Abgründe und dunklen<br />

Seiten gerade genialer Wissenschaft und Philosophie sichtbar. Hinter der Metaphysik<br />

des Bösen und der allgemeinen Kritik neuzeitlicher Subjektivität steht deshalb bei<br />

Schelling die Selbstaufklärung über die Selbstgefährdung des Idealismus als <strong>Lehre</strong><br />

vom Absoluten.<br />

Schellings unausgesprochene Selbstzweifel lagen umso näher, weil er sich schon in<br />

der Freiheitsschrift auf ein nicht ungefährliches stilistisches Experiment eingelassen<br />

hatte. Von Kant über Fichte zu Schelling lässt sich nämlich eine stetige Steigerung der<br />

Stilhöhe philosophischer Rede beobachten. Im Unterschied zu Kants nüchterndistinktivem<br />

zeichnet sich schon der oratorische Stil der <strong>öffentliche</strong>n <strong>Lehre</strong> <strong>Fichtes</strong><br />

durch eine vermehrte Figuralität aus. Schellings poetischer Stil beginnt nun –<br />

besonders in den gnostisch-theosophischen Passagen der Freiheitsschrift – Bild und<br />

Begriff symbolisch verschmelzen zu lassen. Dieser neue poetische Stil erklärt sich<br />

dabei durchaus konsequent aus der Selbstanwendung des Grund-Existenz-Theorems<br />

auf die eigene philosophische Rede. Demnach liegt der ‚Existenz‘ jedes<br />

aussagekräftigen Begriffs eine bildhafte Anschauung ‚zu Grunde‘, aus dem er seine<br />

semantische Realität und Bedeutsamkeit bezieht. Der bildkräftige Stil der<br />

Freiheitsschrift soll diese Herkunft des Begriffs aus seinem ‚Grund‘ wieder sichtbar<br />

machen und so der drohenden semantischen Entkräftung der philosophischen Rede<br />

vorbeugen.<br />

Daneben birgt die Steigerung der Bildintensität aber auch zweifellos die Gefahr<br />

ihrer ‚positiven Verkehrung‘ in sich. Die Macht des<br />

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