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II. Fichtes öffentliche Lehre

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und damit seine eigentliche, geistige Individualität. Diesen Genius als sein<br />

eigentliches Selbst zu ergreifen und so die aus dem göttlichen Leben stammenden<br />

kreativen Vermögen zu verwirklichen, bildet die eigentliche und einzige Bestimmung<br />

des Menschen. Das einzige Gesetz der höheren Moralität lautet deshalb: „wolle seyn,<br />

was du seyn sollst, was du seyn kannst, und was du eben darum seyn willst“ (GA I, - 9,<br />

161). Damit vertritt das religiöse Denken der Anweisung eine Moralität schöpferischer<br />

Selbstverwirklichung, die die drei Gedanken der Prädestination, der Genialität und der<br />

Selbstbestimmung verbindet und in der Identität von Sollen, Können und Wollen die<br />

eigentliche Bestimmung jedes Menschen sieht.<br />

Auf dem Standpunkt schöpferischer Moralität richten sich die affektiven Kräfte des<br />

Menschen nicht mehr auf die eigene Subjektivität, sondern ganz auf die Realisierung<br />

des durch das eigene Talent gegebenen Objektiven der Idee. Damit ist die ‚höhere‘<br />

Moralität des objektiven Idealismus dem Formalismus der kantischen Pflichtethik<br />

enthoben. Denn das wirkliche Talent lebt ganz aus einem innerlich „erschaffende(n)<br />

Affekt“ (GA I, 9, 157) und braucht deshalb nicht mehr „durch irgend einen<br />

kategorischen Imperativ, zum Fleiße in seiner Kunst, oder in seiner Wissenschaft“<br />

(ebd.) angehalten werden, da es die produktive Tätigkeit um ihrer selbst willen liebt.<br />

Dennoch bleibt der Mensch gerade durch sein jeweils eigenes Talent, das einer<br />

reflexiven Aufspaltung des „Einen göttlichen Wesens in mehrere Individuen“ (GA I,<br />

9, 165) entspringt, wiederum von der völligen Vereinigung mit dem Absoluten selbst<br />

und damit von der Seligkeit getrennt.<br />

Erst auf dem Standpunkt der Religion bezieht sich der Grundaffekt der Existenz<br />

nicht mehr auf das partikulare Bild einer Idee, sondern auf das „hinter aller Reflexion<br />

sich verbergende“ (GA I, 9, 167) absolute Sein und Leben selbst. Die Sehnsucht nach<br />

dem Absoluten erreicht endlich ihr Ziel in einer „absolute(n) Liebe“ (ebd.), in der sich<br />

das Dasein nach der Negation aller Reflexion unmittelbar mit dem Absoluten<br />

verbunden fühlt. „In dieser Liebe ist das Seyn und das Dasey, ist Gott und der<br />

Mensch, Eins, völlig verschmolzen und verflossen (GA I, 9, 166). Mit dem Gedanken<br />

der absoluten Liebe, die sich im Gefühl der Ergriffenheit durch das Unbegreifliche<br />

bekundet, erreicht die Seligkeitslehre der Anweisung zweifellos einen thematischen<br />

Gipfelpunkt. „Die Liebe daher ist höher, denn alle Vernunft, und sie ist selbst die<br />

Quelle der Vernunft, und die Wurzel der Realität, und die einzige Schöpferin des<br />

Lebens, und der Zeit“ (GA I, 9, 167). Mit diesem Gedanken – so betont Fichte – habe<br />

er „den höchsten realen Gesichtspunkt einer Seyns= und Lebens= und Seeligkeits-<br />

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