II. Fichtes öffentliche Lehre
II. Fichtes öffentliche Lehre
II. Fichtes öffentliche Lehre
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
185<br />
eigentlicher Rede um. Der epische Stil bildet in Schellings Augen keine künstlich<br />
figurative Redeweise, sondern die eigentliche und natürliche Darstellungsform des<br />
philosophischen Wissens, ebenso wie die zeitgenössische Wissenschaftsprosa ihre<br />
uneigentliche Schwundstufe verkörpert. Schellings programmatische Abkehr von der<br />
geläufigen Wissenschaftsprosa und seine Zukehr zum Ideal des spekulativen Epos<br />
bedeutet in seinen Augen eine Rückkehr aus ihrer stilistischen Entfremdung.<br />
In diesem programmatischen Ideal des spekulativen Epos drückt sich die<br />
Haupttendenz des historiopoetischen Weltalter-Idealismus aus, Philosophie, Historie<br />
und Kunst wieder zu vereinigen. Das provokante und auf den ersten Blick<br />
missverständliche Diktum – „Was hält sie zurück die geahndete goldne Zeit, da die<br />
Fabel wieder zur Wahrheit und die Wahrheit zur Fabel wird?“ (S 112) – verkündet<br />
keine Auslieferung wissenschaftlicher Wahrheit an das Fabulöse willkürlicher<br />
Phantasie, sondern weist stattdessen auf die – die Philosophie Schellings überhaupt<br />
bewegende – ausstehende Versöhnung von Vernunft und Einbildungskraft hin.<br />
‚Fabel‘ meint hier mythos im Sinne der Poetik des Aristoteles, d. h. die dichterische<br />
Fügung einzelner Handlungselemente zum sinnvollen Handlungsgefüge einer<br />
Komödie oder Tragödie. Nun bedarf nach Schelling auch die Geschichtswissenschaft,<br />
insofern sie mehr sein will als eine bloße Chronik oder ein pragmatisches Konstrukt<br />
subjektiver Interessen, der „historischen Kunst“ (SW V, 310), die den objektiven Sinn<br />
der Ereignisse sichtbar werden lässt. Ihre poetische Synthesis vermag es, aus den<br />
anscheinend chaotischen und vieldeutigen Stoffmassen des historischen Geschehens<br />
selbst heraus eine sinnvolle und erzählbare Geschichte zu formen.<br />
Mit der geschichtlichen Wendung des Idealismus in den Weltaltern zieht nun auch<br />
das Moment der historischen Kunst in die Philosophie ein. Dies erklärt auch ihren<br />
außergewöhnlichen Gesamtstil, denn „Kunst ist symbolisch“ (SW V, 411). Dieser<br />
neue symbolische Stil, der sowohl die gedankliche Ordnung als auch die sprachliche<br />
Gestaltung des spekulativen Epos bedingen soll, erklärt sich wiederum aus Schellings<br />
Theorie der produktiven Einbildungskraft. Demnach entspringen sowohl der<br />
allegorische als auch der schematische und symbolische Stil der produktiven<br />
Einbildungskraft und stellen jeweils eine spezifische Verbindung des bildhaft<br />
Konkreten mit dem begrifflich Allgemeinen dar. Allerdings bleiben die allegorischen<br />
und schematischen Formen defizitär. Das Allegorische leidet an einem Übergewicht<br />
bildhafter Konkretion und einem entsprechenden Mangel allge-<br />
{{ Seite 185 }}