II. Fichtes öffentliche Lehre
II. Fichtes öffentliche Lehre
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deres, das es zur Erinnerung bringt; eines in dem die Antwort liegt auf jede Frage der<br />
Forschung, und ein anderes, das diese Antwort aus ihm hervorholt“ (ebd.). Erst die<br />
Rede im Modus des Dialoges lässt das transzendentale Gedächtnis verborgenes<br />
absolutes Wissen erinnern und in diskursiver Form verständlich werden. Im Gemüt<br />
des Philosophen erzeugt sich somit aus der personinternen Differenz intuitiver<br />
Anschauung und kritischer Reflexion die absolute Begreiflichkeit des geschichtlichen<br />
Absoluten in der Form spekulativer Universalhistorie.<br />
Diese Scheidung, diese Verdopplung unserer selbst, dieser geheime Verkehr, in welchem<br />
zwey Wesen sind, ein fragendes und ein antwortendes, ein unwissendes, das nach Wissen<br />
sucht, und ein Wissendes, das aber sein Wissen nicht weiß; dieses stille Gespräch, diese<br />
innere Unterredungskunst, das eigentliche Geheimniß des Philosophen ist es, von welcher die<br />
äußere, darum Dialektik genannte, Kunst nur das Nachbild, und, so sie zur bloßen Form<br />
geworden, der leere Schein und Schatten ist (S 113f.).<br />
Der innere Dialog ist nach Schelling das ‚eigentliche Geheimnis‘ der Weltalter-<br />
Philosophie, Ursprungsort für die äußeren Kunstformen der Dialektik und der<br />
eigentliche Geburtsort philosophischer Wissenschaft. Damit bleibt auch bei Schelling<br />
die reale Genese des lehrbaren philosophischen Wissens – noch mehr als bei Kant und<br />
Fichte – an die Person des Gelehrten gebunden. Im Unterschied zur Anonymisierung<br />
des dialektischen Prozesses bei Hegel hält Schelling an der Person des Philosophen<br />
als dem Realgrund für die Existenz philosophischer Wissenschaft fest.<br />
Der spekulative Universalhistoriker muss demnach zuerst in seinem eigenen Gemüt<br />
„jenen großen ungeheuren Prozess alles Lebens von seinem ersten stillen Anfang bis<br />
zur Gegenwart, ja bis in seine fernste Zukunft“ (S 102) erinnernd nachbilden und noch<br />
einmal durchleben. Dann soll er sich in einem Akt der Selbstverleugnung von dem<br />
unmittelbar Geschauten trennen, um es dialektisch entfalten und begreifen zu können:<br />
„Denn nicht ohne harten innern Kampf, nicht ohne Scheidung seiner selbst von sich<br />
selbst wird die Wahrheit gewonnen“ (ebd.).<br />
Die Genese der Geschichtsmetaphysik der Weltalter liegt damit jenseits jeder<br />
theoretischen Beschaulichkeit und bedeutet, sich freiwillig auf einen risikoreichen und<br />
vorher unausrechenbaren geistigen Prozess einzulassen, der verändernd in die<br />
Intimität des eigenen Bewusstseins eingreift: „Selbst theoretisch ihn mitmachen ist<br />
nicht genug. Wer den Prozeß alles Lebens, wie er in gegenwärtigem Buch<br />
beschrieben, nicht praktisch erfahren, wird ihn nicht begreifen … Leute ohne geistige<br />
Erfahrung können hier nichts richten“ (ebd.). Mit dieser<br />
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