II. Fichtes öffentliche Lehre
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wendig „als eine, in sich selbst geschloßne, und vollendete, und absolut<br />
unveränderliche Einerleiheit, zu denken sey“ (ebd.), bestätigt den anfänglichen<br />
Seinsgedanken der klassischen Metaphysik. Damit kommt es in der Anweisung<br />
zweifellos zu einer Teilrehabilitierung der vorkritischen Metaphysiktradition, die die<br />
frühere Dogmatismuskritik <strong>Fichtes</strong> im Ganzen verworfen hatte.<br />
Zugleich weist Fichte aber aus transzendentalkritischer Sicht auf das gravierende<br />
Defizit der klassischen Metaphysik hin, deren objektivistische Ontologie die Tatsache<br />
übersieht, dass das Sein für uns niemals unmittelbar, sondern immer nur in der Form<br />
unseres subjektiven Bewusstseins da ist. Ontologisch formuliert ist unser Bewusstsein<br />
das reflexiv unhintergehbare „Daseyn des Seyns“ (GA I, 9, 86). Der schon bei<br />
Parmenides hervorgetretene objektive Seinsgedanke – „Nur das Seyn ist“ (GA I, 9,<br />
58) – muss daher durch den modernen transzendentalkritischen Gedanken – „das Ist<br />
zu dem Seyn“ ist das „Bewußtseyn des Seyns“ (GA I, 9, 87) – ergänzt werden. Das<br />
entscheidende Defizit der klassischen Ontologie ist, dass sie nur Seins- und nicht<br />
zugleich Daseins- oder Bewusstseinslehre zu sein vermag. Deshalb kommt sie,<br />
konsequent gedacht, „bloß zu einem, in sich selber Verschlossenen, Verborgenen, und<br />
Aufgegangenen, Seyn: – aber noch keinesweges zu einem Daseyn, ich sage Daseyn,<br />
zu einer Aeußerung und Offenbarung, dieses Seyns“ (GA I, 9, 86).<br />
<strong>Fichtes</strong> Neuansatz einer transzendentalkritisch aufgeklärten Ontologie, die sowohl<br />
Seins- als auch Daseins-, d. h. Bewusstseinslehre sein will, führt allerdings zu einem<br />
erkenntnistheoretisch problematischen Ergebnis. Insofern das Denken nicht in die<br />
dogmatische Metaphysik zurückfallen will, muss es nämlich kritisch an der<br />
ontologischen Differenz zwischen dem in sich verschlossenen absoluten Sein und<br />
seinem äußeren Dasein im Bewusstsein festhalten. Damit kann aber das Sein als Sein<br />
niemals selbst im Dasein auftreten und zum Gegenstand des Bewusstseins werden.<br />
Das Wissen des menschlichen Selbstbewusstseins besitzt somit lediglich den<br />
„Charakter des bloßen Bildes“ (GA I, 9, 88). Die bloße Bildhaftigkeit des gesamten<br />
gegenständlichen Welt- und Selbstbewusstseins begründet Fichte<br />
transzendentalphilosophisch ferner dadurch, dass das Wissen des menschlichen<br />
Selbstbewusstseins dem Reflexionsgesetz unterliegt. Demgemäß können wir etwas als<br />
etwas nur im Unterschied zu seinem Gegenteil deutlich erfassen und begreifen. Fichte<br />
lässt in seiner Religionslehre die eigentümliche Ambivalenz der Reflexion somit<br />
scharf hervortreten. Als Prinzip aller Begreiflichkeit eignet ihr nämlich ein<br />
bemerkenswerter Doppelsinn: einerseits ermöglicht die Reflexion die Welt<br />
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