II. Fichtes öffentliche Lehre
II. Fichtes öffentliche Lehre
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philosophisch aufgreift, sondern ihnen eine von aller historischen Zufälligkeit<br />
unabhängige transzendentalphilosophische Begründung gibt. Dies gilt auch für die<br />
grundlegende Bedeutung, die Fichte dem Gefühl und dem Glauben einräumt. Die<br />
Wissenschaftslehre kann nämlich zeigen, dass die Annahme der Wirklichkeit einer<br />
Vorstellung auf einem Realitätsgefühl beruht, in dem das ursprüngliche Streben des<br />
transzendentalen Ich seinen empirischen Ausdruck findet. Insofern unsere Auffassung<br />
von Realität und Wirklichkeit in diesem unmittelbaren Evidenzgefühl gründet, bildet<br />
sie keinen Gegenstand des Wissens, sondern eine Gegebenheit des Glaubens. „An<br />
Realität überhaupt, sowohl die des Ich, als des Nicht-Ich, findet lediglich ein Glaube<br />
statt“ (GA I, 2,429).<br />
Im hohen systematischen Stellenwert, den die transrationalen Kategorien des<br />
Strebens, des Gefühls und des Glaubens in der Grundlage der gesammten<br />
Wissenschaftslehre besitzen, sollte nicht nur ein Einfluss durch die praktische<br />
Philosophie Kants oder die Gefühlslehre Rousseaus vermutet werden. Es handelt sich<br />
in erster Linie um die transzendentalphilosophische Rekonstruktion der integralen<br />
Anthropologie, die bereits das früheste Denken <strong>Fichtes</strong> bestimmt und als deren Quelle<br />
in der Valediktionsrede die klassische Rhetoriktradition hervortritt. Die transrationalen<br />
Kategorien bilden die apokryphe Präsenz der Rhetorik schon in der anfänglichen<br />
Theoriebildung <strong>Fichtes</strong>. Die Begriffe des Wollens und Strebens, des Fühlens und<br />
Glaubens gehören dabei zum Kern der idealistischen Philosophie der Subjektivität, die<br />
sich nicht auf die kognitiven Aspekte des Bewusstseins reduzieren lässt. Als<br />
Reformulierungen des rhetorischen ethos und pathos artikulieren sie nicht das so<br />
genannte „Irrationale“ 17 , sondern das humanistische Erbe einer unverkürzten<br />
Anthropologie der Rhetorik, die auch den willens- und gefühlshaften Seiten<br />
menschlicher Personalität gerecht wird.<br />
e) Die Evidenz des Ethos und die Akzeptanz der Philosophie<br />
Diese in der Wissenschaftslehre von 1794 transzendental vertiefte ganzheitliche<br />
Anthropologie der Rhetorik, die die transrationalen Vermögen des Wollens, Fühlens<br />
und Glaubens systematisch aufwertet,<br />
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17 K. Dockhorn, „Die Rhetorik als Quelle des vorromantischen Irrationalismus in der Literatur- und<br />
Geistesgeschichte“, in: ders., Macht und Wirkung der Rhetorik. Vier Aufsätze zur Ideengeschichte der<br />
Vormoderne, Bad Homburg v. d. H. / Berlin / Zürich 1968, 46–95, hier: 49.