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April - Experimenta.de

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Corinna Antelmann wur<strong>de</strong> 1969 in Bremen geboren und lebt seit inzwischen sieben Jahren im österreichischen Linz. Die studierte<br />

Geistes- und Kulturwissenschaftlerin hat als Drehbuchautorin, Dramaturgin und Regieassistentin für Film, TV, Theater und Hörfunk<br />

gearbeitet.<br />

Als Autorin von Kurzgeschichten und Romanen wur<strong>de</strong> sie für verschie<strong>de</strong>ne wichtige Literaturpreise nominiert. So wur<strong>de</strong> zum Beispiel ihr<br />

Jugendbuch „Im Schatten <strong>de</strong>s Mon<strong>de</strong>s“ für die Segeberger Fe<strong>de</strong>r 2012 vorgeschlagen. Bereits zweimal wur<strong>de</strong> sie mit einem Mira-Lobe-<br />

Stipendium <strong>de</strong>s österreichischen Bun<strong>de</strong>sministeriums für Unterricht, Kunst und Kultur ausgezeichnet. Im <strong>April</strong> 2013 erhält sie <strong>de</strong>n Frau-<br />

Ava-Literaturpreis. Auf ihrem Internet-Auftritt corinna-antelmann.com gibt sie einen Überblick über ihr Schaffen und gewährt Einblicke<br />

in verschie<strong>de</strong>ne ihrer Werke.<br />

Jetzt brauche ich einen Kaffee.<br />

Ich weiß nicht, in was für einer Welt ich lebe, was meinst du?, frage ich das Gesicht meiner<br />

Großmutter, während ich mich mit meinem Becher Milchkaffee an <strong>de</strong>n Tisch setze. Der Ort, nach<br />

<strong>de</strong>m ich immer gesucht habe, ist irgendwann im Laufe <strong>de</strong>r Familiengeschichte zurückgelassen<br />

wor<strong>de</strong>n: Allein. Er hätte sich längst in eine innere Heimat verwan<strong>de</strong>ln sollen, glaubst du nicht? In<br />

ein Gefühl inneren Geborgen-Seins o<strong>de</strong>r nenn es, wie du willst.<br />

Geborgenheit. Großmutter hätte das Wort zurückgejagt in ihre Gedärme, damit sie es ein für alle<br />

Mal ins Klo hinunterspülen hätte können, <strong>de</strong>nn mit <strong>de</strong>r Geborgenheit ist das so eine Sache, wenn<br />

du auf <strong>de</strong>r Flucht gewesen bist und auch <strong>de</strong>n Körper hast verlassen müssen für die Momente<br />

<strong>de</strong>s Schmerzes. Wenn ich sie danach gefragt habe, hat sie immer behauptet, ihr sei kein Haar<br />

gekrümmt wor<strong>de</strong>n, damals, als das Haus ihres Vaters gestürmt wur<strong>de</strong>. Nicht ein Haar, mein Kind,<br />

<strong>de</strong>n ganzen langen Krieg über nicht ein einziges Haar.<br />

Und woher, liebe Dame, sag, woher stammen dann die Zahlen, die mich aus meinen Büchern<br />

anspringen, aus <strong>de</strong>n Berichten <strong>de</strong>r Flüchten<strong>de</strong>n und aus <strong>de</strong>n Aufzeichnungen <strong>de</strong>r Historiker? Wie<br />

kommen sie zustan<strong>de</strong>?<br />

Wen soll ich dazu befragen? Das Haus meines Urgroßvaters gibt es nicht mehr, keine Wand ist<br />

stehengeblieben, die mir davon berichten könnte. Mit <strong>de</strong>m letzten gefallenen Stein ist dort das<br />

Schweigen eingezogen.<br />

Aber auch das ist normal.<br />

Auch? Ist es normal, wenn Großmutter schweigt? Normal, dass sie behauptet, ihr sei kein Haar<br />

gekrümmt wor<strong>de</strong>n, und <strong>de</strong>nnoch von Traurigkeit überzogen ist und von Wän<strong>de</strong>n umgeben, die ihr<br />

zur ersten Haut gewor<strong>de</strong>n sind, nach<strong>de</strong>m die natürliche Haut sich als schlechter Schutz entpuppt<br />

hat? Und auch die zweite, dritte, vierte, fünfte hat sie im Stich gelassen, genau genommen. So ist<br />

dir allein die Haut aus Stein geblieben, die ist dir besser erschienen als nichts.<br />

Stimmt’s, Oma?<br />

Die Liebe zu <strong>de</strong>inem Maler muss <strong>de</strong>ine letzte gewesen sein. Als Erinnerung an eine Zeit vor <strong>de</strong>m<br />

Krieg, vermute ich. Danach war Schluss mit <strong>de</strong>r Liebe. In je<strong>de</strong>r Hinsicht: Schluss.<br />

So je<strong>de</strong>nfalls haben es mir <strong>de</strong>ine Wän<strong>de</strong> erzählt, gera<strong>de</strong> eben, du hast sie nicht gehört, und wenn<br />

doch, sie hätten sich das Wort nicht verbieten lassen von dir, <strong>de</strong>nn du bist tot.<br />

Ich packe meine Bücher aus und breite sie auf <strong>de</strong>m Esstisch aus. Ich muss entschei<strong>de</strong>n, welche<br />

ich aufstellen möchte. Da verzieht sich <strong>de</strong>r Mund auf <strong>de</strong>m Portrait. Überhaupt ist ihr Lächeln über<br />

Nacht schmaler gewor<strong>de</strong>n, fin<strong>de</strong> ich. Es hat sich besser leben lassen mit <strong>de</strong>m Verschweigen, da<br />

sollen die Bücher sie nach ihrem Tod nicht doch noch plötzlich mit <strong>de</strong>m Sprechen bedrängen.<br />

Sei es ihr gegönnt.<br />

Ich verstaue die Bücher zurück in die Kiste und bringe sie auf <strong>de</strong>n Dachbo<strong>de</strong>n. Verschließe<br />

das von Frem<strong>de</strong>n zusammengetragene Wissen um Damals im Oberstübchen. Dort wird es<br />

weiterarbeiten.<br />

Du konntest es nicht, Oma: Den Schmerz überwin<strong>de</strong>n. Statt<strong>de</strong>ssen hast du ihn mit eingemauert<br />

<strong>April</strong> 2013 31<br />

www.eXperimenta.<strong>de</strong>

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