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April - Experimenta.de

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Nach ihrer Entlassung aus <strong>de</strong>r psychiatrischen Klinik verlässt Mia New York, um nicht zufällig<br />

ihrem Mann mit seiner Neuen zu begegnen, aber vor allem, um Zuflucht in ihrer Heimatstadt<br />

an <strong>de</strong>r Ostküste bei ihrer Mutter zu suchen. Dieser Rückzug zur Mutter malt das Bild vom<br />

Urbedürfnis vieler Frauen, sich in ihrer Verletztheit, an <strong>de</strong>r Kraft <strong>de</strong>s Weiblichen an sich zu heilen.<br />

Seelenmedizin.<br />

Mia hat sich für <strong>de</strong>n Sommer ein Haus gemietet, da ihre Mutter im örtlichen Altenheim wohnt. Und<br />

sie hat sich vorgenommen, an <strong>de</strong>r Volkshochschule <strong>de</strong>s kleinen Provinzstädtchens einen Kurs<br />

in Poetik für Teenager anzubieten. Dieses kostet sie allein in ihrer Vorstellung schon unendliche<br />

Überwindung.<br />

Doch die Einreihung Mias zwischen die Generationen, zwischen <strong>de</strong>n pubertieren<strong>de</strong>n Girlies, ihrer<br />

Nachbarin, einer jungen Mutter, und <strong>de</strong>n Greisinnen, die die Mutter im Altersheim umringen, birgt<br />

schon das Rezept für die Arznei, die Mia über <strong>de</strong>n Sommer hinweg genesen lässt. Die Charaktere,<br />

die von nun an Mia durch <strong>de</strong>n Sommer begleiten, sind bunt, keineswegs banale Provinzler.<br />

Hinter klischeehafter Angepasstheit lässt Hustvedt die verborgenen Gaben und Ticks <strong>de</strong>r Frauen<br />

funkeln. Seien es die überraschend tiefen Empfindungen, die die Teenager durchmachen und in<br />

ihren Erstlings-Gedichten ausdrücken, bis hin zum Mobbing-Drama unter <strong>de</strong>n Teenagern, das<br />

sich zur ernsten Bedrohung entwickelt. Auch junges Leben kann genauso ernst und erschütternd<br />

sein wie erwachsenes. Und dann das Gegenstück, die originellen Alten. Die durchblicken lassen,<br />

dass auch sie einmal eine Sexualität hatten. Wie die hoch betagte Freundin <strong>de</strong>r Mutter, die ihre<br />

erotischen Fantasien und ihre Wut in <strong>de</strong>r Blüte ihres Lebens darüber, sie nie ausleben zu können,<br />

in äußerst kunstfertigen Stickereien ausgedrückt hatte. Ihr, Mia, gewährt sie als erstem Menschen<br />

einen Blick darauf. Mia wird die erotischen Stickereien erben.<br />

Geschrieben hat Hustvedt ihren Roman wie eine Collage. Von Absatz zu Absatz reihen sich<br />

Fragmente zu einem Puzzle zusammen, wechseln sich Personen, Perspektiven, Zitate, Gedankenfetzen<br />

und Episo<strong>de</strong>n ab. Oft greift die intellektuelle Mia in ihren reichen Fundus <strong>de</strong>r Schriftsteller<br />

und Philosophen, die vor ihr geschrieben und gedacht haben, was nun in ihrem Leben real wird.<br />

Sie nimmt Kant, Dickens, Austen und so viele an<strong>de</strong>re in ihren Text auf wie gefun<strong>de</strong>ne Kieselsteine<br />

im Bachlauf, lässt sie verwun<strong>de</strong>rt betrachtend durch ihre Finger gleiten. Von Wissensprotz keine<br />

Spur, vielmehr geteilte Erfahrung, empfun<strong>de</strong>nes Begreifen.<br />

Am En<strong>de</strong> hallt einem <strong>de</strong>r Schlusssatz nach wie ein Echo. Wenn Männer es nur begreifen wür<strong>de</strong>n.<br />

Boris, <strong>de</strong>r Ehemann auf Abwegen, will reumütig zu seiner Frau und Seelengefährtin Mia zurück<br />

kehren und fragt sie, wie er sie zurück gewinnen könne. Sie antwortet: „Woo me.“ Umwerbe<br />

mich.<br />

Falk von Traubenberg:<br />

fvt_un-published_2012-08-25<br />

www.eXperimenta.<strong>de</strong><br />

68 <strong>April</strong> 2013

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