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Magazin 198412

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Deutsches Rotes Kreuz<br />

Äthiopien -<br />

ein Land verhungert<br />

Das Deutsche Rote Kreuz bittet um Hilfe für seine Hilfe<br />

Bereits seit über vier Jahren ist das<br />

Deutsche Rote Kreuz in Äthiopien im<br />

Einsatz, im humanitären Einsatz für<br />

Menschen, die sich nicht mehr selbst<br />

helfen können. Interne Konflikte und<br />

eine fortdauernde Dürre haben die Lage<br />

dramatisch verschärft. Gert Venghaus<br />

kehrte soeben aus Äthiopien zurück, wo<br />

er im Auftrag des DRK die Vorbereitun- .<br />

gen für den Aufbau eines Feldlazarettes<br />

in Alamata getroffen hat.<br />

Brauner, heißer Sand, ausgetrocknete<br />

Flußtäler und kahle Berge, die zum Teil<br />

bis über 4000 Meter ansteigen, so bietet<br />

sich die Provinz Wollo im nördlichen<br />

Te il Äthioplens dar: Nirgendwo Grünflächen,<br />

das Vieh ist bis auf die Knochen<br />

abgemagert, selbst die Kakteen sind<br />

eingetrocknet. Seit drei Jahren hat es,<br />

abgesehen von wenigen gelegentlichen<br />

Schauern, nicht geregnet.<br />

Während es in den westlichen Provinzen<br />

regelrechte Regenzeiten gibt, brennt<br />

hier die Sonne tagsüber auf das Land,<br />

und nachts sinken die Temperaturen bis<br />

auf 4 Grad Celsius ab. Im Hochland von<br />

Wollo kommt es zudem gelegentlich zu<br />

kurzen, unbarmherzigen Hagelschauern,<br />

die die Bodenerosion beschleunigen<br />

und die Lage der im Freien Kampierenden<br />

unerträglich machen. Hier und unter<br />

diesen klimatischen Bedingungen hat<br />

sich eine der größten und erschütterndsten<br />

Tragödien Afrikas angebahnt<br />

Rab, Rab - Hunger, Hunger<br />

"Schon während der Fahrt von der<br />

Hauptstadt Addis Abeba in die Provinz<br />

Wollo werden wir mit der großen Not<br />

dieses Landes konfrontiert. Auf einer kilometerlangen<br />

Strecke wird unser Wagen<br />

von einer unübersehbaren Menge<br />

hungernder Kinder gestoppt. Sie werten<br />

sich auf den Boden, kussen die Straße<br />

und verhindern das Weitertahren. Mit tief<br />

eingesunkenen Augen, abgemagert bis<br />

auf das Skelett, strecken sie uns flehend<br />

ihre Hände entgegen und jammern:<br />

,Rab, Rab' - ,Hunger, Hunger'.<br />

Angesichts dieser bettelnden Kinder<br />

kommen wir schnell in eine Konfliktsituation<br />

- gibt man etwas, wenn ja: was,<br />

wieviel und welchen Kindern. In unserem<br />

Wagen fährt ein Äthiopier mit. Er<br />

war noch nie in diesem Teil des Landes.<br />

Auf meine Frage, wie er über diese Situation<br />

denkt, wendet er sich mir mit tränenertüllten<br />

Augen zu und sagt: "Alles,<br />

was wir noch für diese Menschen tun<br />

können, ist weinen."<br />

Warten auf den Tod<br />

Nach einer 2-Tage-Reise über holprigen<br />

Asphalt und Sandpisten erreichen wir<br />

den Norden der Provinz Wollo, den Bezirk<br />

Raja und Kobo mit der "Hauptstadt"<br />

Alamata.<br />

Wo wir auch hinschauen, links und<br />

rechts neben der Straße, auf den Marktplätzen,<br />

in jedem Ort: Abertausende von<br />

Menschen, die vom Hunger gezeichnet<br />

sind.<br />

In zerrissene Lumpen gekleidet, sitzen<br />

oder liegen sie apathisch auf den Straßen<br />

und warten auf ihren Tod. Zu Skeletten<br />

abgemagerte Säuglinge saugen<br />

an den trockenen , schlaffen Brüsten ihrer<br />

Mütter. Siebenjährige Kinder ähneln<br />

in Größe und Gewicht zweijährigen. Ihre<br />

greisenhaften Gesichter drücken mehr<br />

menschliches Leid aus, als wir je beschreiben<br />

könnten. Die ausgetrockneten<br />

Lippen sind aufgeplatzt, sie können oft<br />

nichts mehr schlucken, selbst wenn sie<br />

etwas zu essen oder zu trinken bekommen.<br />

Die Augen sind bedeckt mit Fliegen.<br />

Überall ist ein ständiges Schreien, Jammern<br />

und Weinen zu hören, doch die<br />

meisten sind bereits zu schwach, um<br />

noch zu klagen. Alte Männer und Frauen<br />

liegen halbnackt auf der Slraße, unfähig,<br />

auch nur die Hand zu heben. Leben sie<br />

noch oder sind sie schon lot? Wir wissen<br />

es oft nicht.<br />

Auf den Plätzen und Wegen bahnen wir<br />

uns mühsam einen Weg durch die Mensehen<br />

massen, und immer öfter sehen<br />

wir sie, Menschen, denen der Hunger<br />

nichts mehr anhaben kann - jene, die<br />

nach tagelangen Fußmärschen völlig<br />

entkräftet und erschöpft die Lager erreichen<br />

und sterben. All diese Menschen<br />

haben ihre Hütten in den Heimatorten<br />

verlassen und kamen hierher, um Nahrung<br />

zu bekommen, um medizinische<br />

Hilfe zu finden . Doch was linden sie<br />

meist? Nur den eigenen Tod.<br />

Hilfe für Alamata<br />

In Korem, einem Ort, den wir aufgrund<br />

der Sicherheitsfrage hier im Norden gerade<br />

noch erreichen können, leben normalerweise<br />

10000 Menschen. Jetzt sind<br />

es 125000 Flüchtlinge, die sich in den<br />

"Shelters" (Lagern) und um diese<br />

herum aufhalten. Manche schätzen die<br />

Zahl gar auf 200000. Täglich erreichen<br />

150 Neuankömmlinge das Lager, täglich<br />

sterben ca. 100 Menschen, meist Kinder.<br />

Täglich werden 100 Kinder neu registriert.<br />

Ärzte und Schwestern versorgen<br />

ca. 600 Patienten pro Tag . In Kobo,<br />

weiter südlich, sieht die Situation ähnlich<br />

aus. Die Zahl der Neuankömmlinge<br />

steigt jeden Tag.<br />

Zwischen beiden Orten liegt Alamata.<br />

Auch hier vegetieren mehr als zehnmal<br />

so viele Menschen wie die Stadt ursprünglich<br />

Einwohner hatte. Auch hier<br />

gibt es eine Nahrungsmittel-Ausgabestelle,<br />

in der die registrierten Flüchtlinge<br />

Zusatzernährung vom Roten Kreuz bekommen.<br />

Faffa (proteinangereichertes<br />

Sojamehl), Butteröl, Getreide, etwas<br />

Zucker. Mit insgesamt 7 kg muß eine<br />

fünfköpfige Familie einen Monat lang<br />

auskommen. Das Problem liegt nicht nur<br />

darin, daß man die meisten Menschen<br />

nicht registrieren kann, weil sowohl Zuwanderung<br />

als auch Sterblichkeit derart<br />

hoch sind. Sehr viel problematischer ist<br />

das fehlende Straßennetz im Hochland<br />

Äthiopiens, das den Transport der in<br />

den Häfen angelandeten Hilfsgüter so<br />

sehr erschwert. Die kürzlich mit Hilfe<br />

der Bundesregierung und anderer Länder<br />

eingerichtete Luftbrücke hat jedoch<br />

ZS-MAGAZIN 12/84 41

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