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seit <strong>de</strong>n Tagen, da ich die unbeholfensten Schulaufsätze gemacht habe, selbst<br />

<strong>de</strong>r Wortbestand <strong>de</strong>r heutigen Sprache Gottseidank nicht so weit erschlossen<br />

wie etwa <strong>de</strong>m Dichter <strong>de</strong>r Renate Fuchs. Wenn ich ein Substantiv brauche,<br />

lasse ich mir ein Fremdwort einfallen, um im Fremdwörterbuch nach Synonymen<br />

zu suchen, und wenn ich ein Adjektiv brauche, so schlage ich halt im Ullmann<br />

nach. Und doch bin ich auch in Verlegenheit vor <strong>de</strong>m Reichtum an<br />

Wortgestalt, bevor ich das Wort habe, und wür<strong>de</strong> auf Volapük ein besseres<br />

Gedicht zustan<strong>de</strong>bringen als die um Borchardt und Wassermann. Es ist freilich<br />

sehr beklagenswert, daß die Zeitungswelt, die <strong>de</strong>n Ruhm dieser Herrschaften<br />

besorgt, auch die Verflachung <strong>de</strong>r Sprache durchgeführt hat. Aber<br />

was <strong>de</strong>r Zustand <strong>de</strong>n Dichter angehen soll, habe ich nie verstan<strong>de</strong>n. Das<br />

welkste Wort blüht doch unter seinen Hän<strong>de</strong>n, die gar nicht verzweifelt sein<br />

müssen, es wäre <strong>de</strong>nn vor <strong>de</strong>r Fülle, die da ersteht, und im Bewußtsein <strong>de</strong>r<br />

Nichtempfänglichkeit einer Zeitungswelt vor eben diesem Wun<strong>de</strong>r. Sie spürt<br />

nur Papier, und ein und dasselbe Wort ist doch zugleich Papier und Gold. Der<br />

große Maler muß auch mit Kot malen können, und dies steht mir noch über<br />

<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Philister erschüttern<strong>de</strong>n Sicherheit, daß er mit Farbe Kot malen<br />

kann. Alles an<strong>de</strong>re sind Ästhetenfaxen, die <strong>de</strong>r Kunst von <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>rn Seite her<br />

so wenig nahe kommen wie <strong>de</strong>r Philistersinn. Von <strong>de</strong>r Relativität <strong>de</strong>s Wortwerts,<br />

von <strong>de</strong>r Verän<strong>de</strong>rlichkeit <strong>de</strong>r Wortmaterie zwischen Gestaltung und<br />

Nichtgestaltung wie innerhalb <strong>de</strong>r Gestaltung, von <strong>de</strong>m, was zwischen <strong>de</strong>n<br />

Worten Atem, Raum und Leben hat, ist da wie dort keine Ahnung, Was mir die<br />

Blicke verflochte zu schreiben das, zwingt mich nicht ins dreizehnte Jahrhun<strong>de</strong>rt.<br />

Mit Zeug und Handwerkszeug zufrie<strong>de</strong>n, bringe ich aus <strong>de</strong>r Trivialsprache<br />

Bild und Gestalt <strong>de</strong>s heutigen Lebens hervor. Aber selbst um ein Liebesgedicht<br />

zu machen (das um kein Gran mehr Lyrik enthielte als je<strong>de</strong>r Satz einer<br />

Glosse), habe ich mich nie in die provencalische und toskanische Minnedichtung<br />

versenkt.<br />

50<br />

Inschriften<br />

THYRSIGERI MULTI; PAUCOS AFFLAVIT IACCHUS<br />

In einem Wörterbuch find' ich das gottvolle Wort.<br />

Wer wohl <strong>de</strong>r Schöpfer war, <strong>de</strong>r solches Anschaun gewährt hat<br />

und <strong>de</strong>n Kontrast gestellt, stärker als in <strong>de</strong>m Wort<br />

christlich ordnen<strong>de</strong>r Güte, das zur Erklärung daneben<br />

und, die nicht auserwählt, die Berufenen nennt.<br />

Viele Stabträger sind, doch wenig von Bacchus Erfüllte;<br />

und die Letzten <strong>de</strong>r Kunst wer<strong>de</strong>n die Ersten nicht sein.<br />

Lärmend erraffen sie zu Efeu und Weinlaub <strong>de</strong>n Lorbeer<br />

und sie tragen <strong>de</strong>n Stab, ohne <strong>de</strong>s Gottes zu sein.<br />

Thyrsigeri multi: es son<strong>de</strong>rt die Spreu von <strong>de</strong>m Weizen,<br />

und es bricht über sie, Unberufne, <strong>de</strong>n Stab.

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