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Verfallssymptom. Zwar gibt er zu: Schließlich, was ist dabei? Warum soll eine<br />
junge Nonne nicht Zigaretten kaufen und rauchen dürfen ... «<br />
Gewiß; aber wenn man es zum erstenmal sieht, wun<strong>de</strong>rt man sich<br />
doch.<br />
Es stimmt da etwas nicht; ich weiß nur nicht, was.<br />
Ich schon. Er hat eine Krankenschwester mit einer Nonne verwechselt und<br />
dürfte, wenn er eines Feuerwehrmannes ansichtig wird, sich wun<strong>de</strong>rn, daß<br />
hier die Offiziere noch in <strong>de</strong>n alten Uniformen umhergehen. Aber selbst wenn<br />
es eine Nonne war, so staunt man doch, daß Mosse um dieser Beobachtung<br />
willen, die in Berlin vielleicht auch zu haben war, einen Mann nach Wien<br />
schickt. Allein nicht genug an <strong>de</strong>r Nonne. Er sitzt in seinem Hotelzimmer, es<br />
klopft.<br />
»Herein!« habe ich gesagt und mich nicht umgedreht, weil ich<br />
vermute, daß es das Zimmermädchen sein wird, und weil mein<br />
Zimmermädchen nicht beson<strong>de</strong>rs hübsch ist.<br />
Schlankl. Also man versteht, wenn sie hübsch gewesen wäre, hätte er sich<br />
umgedreht. (Es könnte von Großmann sein.) Wer steht aber vor ihm? mitten<br />
im Zimmer?<br />
... ein schwarzer, dicker Mönch mit einer Liste.<br />
Nun wird es mir aber doch ein bißchen zu bunt mit <strong>de</strong>n Wiener<br />
Merkwürdigkeiten.<br />
Von jetzt ab schreibe ich bei verschlossener Tür.<br />
Recht so, da beobachtet sich's besser. Zum Beispiel dies: »Der Wiener« hat<br />
eine son<strong>de</strong>rbare Gewohnheit, die es erklärlich macht, daß er keine Aktenmappe<br />
trägt. In Berlin trägt nämlich je<strong>de</strong>r eine.<br />
Der Wiener ist kein Mensch für Aktenmappen, weil er nicht genügend<br />
Hän<strong>de</strong> hat. Mit <strong>de</strong>r einen Hand sucht er in <strong>de</strong>r Westentasche<br />
nach seinem Zahnstocher; mit <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Hand hält er seinen<br />
Freund am Jakettknopf fest ...<br />
Und wer weiß, ob in <strong>de</strong>n wenigen Aktenmappen, die man sieht,<br />
nicht Häuptelsalat beför<strong>de</strong>rt wird, anstatt <strong>de</strong>r Akten?<br />
Aber <strong>de</strong>n Berliner, <strong>de</strong>r die Beobachtungen drin hatte, hätte <strong>de</strong>r Wiener nicht<br />
am Jakettknopf festhalten sollen.<br />
* * *<br />
ER WIRD FRECH<br />
Der Berliner in Wien weiß nicht nur Bescheid, son<strong>de</strong>rn wird auch frech.<br />
Es ist nämlich Herr Viktor Auburtin, <strong>de</strong>r auf diesen Namen hört, weil er ganz<br />
Deutschland mit Esprit versorgt. Schon daß er die Ödigkeiten, die er <strong>de</strong>m Berliner<br />
Tagblatt in Fortsetzungen erzählt, »Wiener Spaziergänge« betitelt, muß<br />
man einge<strong>de</strong>nk <strong>de</strong>s Umstan<strong>de</strong>s, daß unter diesem Titel einmal auch Geist erschienen<br />
ist, als Unjebühr empfin<strong>de</strong>n. Aber er schließt eine dieser Bummeleien<br />
wörtlich:<br />
Das ist <strong>de</strong>r Volksgarten, <strong>de</strong>n Peter Altenberg berühmt gemacht<br />
hat. Auf diesen Bänken ist er oft gesessen und hat die Beine <strong>de</strong>r<br />
vierzehnjährigen Mädchen betrachtet. Dann hat er seine Schreibtafel<br />
vorgeholt und hat sie (die Beine <strong>de</strong>r vierzehnjährigen Mädchen)<br />
in die <strong>de</strong>utsche Literatur eingeführt.<br />
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