Ghetto Wilna - Arbeit und Leben (DGB/VHS) Hochtaunus
Ghetto Wilna - Arbeit und Leben (DGB/VHS) Hochtaunus
Ghetto Wilna - Arbeit und Leben (DGB/VHS) Hochtaunus
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
März 1997<br />
„Sag niemals, dass Du gehst den letzten Weg“<br />
<strong>Ghetto</strong> Theater Festival in Vilnius: Gedenken an das Juden-Massaker<br />
Ein überaus wichtiger Bereich der litauischen Kultur – nämlich die jüdische – ist mit dem<br />
Zweiten Weltkrieg <strong>und</strong> dem Wüten der Nationalsozialisten <strong>und</strong> willfähriger Kollaborateure<br />
vollständig untergegangen. R<strong>und</strong> 200.000 jüdische Menschen wurden in ganz Litauen ermordet.<br />
Mehr als 50.000 Jugendliche <strong>und</strong> Kinder. Eine Todesrate von 94 Prozent, der höchsten in<br />
ganz Europa. Nicht einmal 9.000 litauische Juden überlebten den höllischen Holocaust.<br />
Allen Gefahren zum Trotz bildeten sich auch im <strong>Ghetto</strong> von Vilnius Widerstandsgruppen.<br />
Der Widerstandsgeist manifestierte sich nicht zuletzt in einer ausgeprägten Liedkultur. „Sag<br />
niemals, dass Du gehst den letzten Weg“, ein Kampflied, das von Vilnius den Weg in andere<br />
<strong>Ghetto</strong>s <strong>und</strong> Lager fand. Im Staatlichen Jüdischen Museum Litauens erinnert die Dauerausstellung<br />
„Katastrofa“ mit Fotografien, Texterläuterungen <strong>und</strong> Originaldokumenten an den Holocaust.<br />
An die Vernichtung des „litauischen Jerusalems“ innerhalb von nur zwei Jahren nach dem<br />
Einmarsch deutscher Truppen 1941, mit der jäh eine ins 14. Jahrh<strong>und</strong>ert zurückreichende jüdische<br />
Tradition ausgelöscht wurde. Wilne, der jiddische Name für die litauische Hauptstadt,<br />
entwickelte sich zum Zentrum des religiösen <strong>und</strong> wissenschaftlichen Judentums. Wilne war<br />
ebenso Zentrum der modernen hebräischen Literatur wie auch des jüdischen Buchdrucks.<br />
Als eine der stärksten Persönlichkeiten <strong>und</strong> einflussreichsten Gelehrten gilt bis heute der<br />
Wilner Rabbiner Elijah Ben Salomon Salman (1720 – 1797), der als „Gaon von Wilne“ bereits<br />
zu Lebzeiten zur Legende geworden war. Zum 200. Todestag findet im September dieses<br />
Jahres in Vilnius eine Konferenz statt, zu der sich bislang bereits mehr als 900 Interessenten<br />
aus der ganzen Welt angemeldet haben.<br />
Und in Wilne hatte sich auch eine der ersten jüdischen <strong>Arbeit</strong>erbewegung gebildet (1897).<br />
Nach den Wirren des Ersten Weltkrieges, von denen auch die jüdische Gemeinde in Wilne arg<br />
betroffen war, brachte die Zwischenkriegszeit zahlreiche Neuerungen. So wurde 1925 das Jüdische<br />
Wissenschaftliche Institut (YIVO) mit Hauptsitz in Wilne gegründet, wo eine Bibliothek<br />
mit mehr als 100.000 Bücher, ebenso vielen Manuskripten <strong>und</strong> neben anderen eine Theatersammlung<br />
eingerichtet wurde. Vor dem Zweiten Weltkrieg lebten r<strong>und</strong> 60.000 Jüdinnen<br />
<strong>und</strong> Juden in Wilne <strong>und</strong> 215.000 nicht-jüdische Personen.<br />
Die „Endlösung der Judenfrage“ der Nazi-Maschinerie traf auch die jüdische Bevölkerung in<br />
Litauen mit aller unmenschlichen Grausamkeit. Innerhalb von nur vier Monaten (Juli bis Oktober<br />
1941) war etwa 80 Prozent der jüdischen Bevölkerung ermordet worden. Mehr als<br />
150.000 Männer, Frauen <strong>und</strong> Kinder. Anfang September 1941 wurden im sterbenden Wilne<br />
r<strong>und</strong> 40.000 Juden in zwei <strong>Ghetto</strong>s … litauischen Juden, den Tod. Das kleinere <strong>Ghetto</strong> wurde<br />
nach einem Monat wieder aufgelöst. Trotz aller Todesahnungen, trotz aller Qualen, trotzt aller<br />
Angst <strong>und</strong> trotz allen Elends entwickelten sich innerhalb <strong>und</strong> außerhalb des <strong>Ghetto</strong>s Widerstandsgruppen,<br />
die jedoch letztlich erfolglos blieben. Am 23. September 1943 wurde das<br />
Vilniusser <strong>Ghetto</strong> aufgelöst. Von den r<strong>und</strong> 60.000 „Wilne“-Juden überlebten etwa 200 bis<br />
3.000 das entsetzliche Morden der deutschen Nationalsozialisten, ihren österreichischen Helfern,<br />
wie Franz Murer, als „Schlächter von Vilnius“ zu trauriger Berühmtheit gelangt sowie<br />
ihren litauischen Kollaborateuren. Von den r<strong>und</strong> 130 Synagogen – die berühmte „Große Synagoge“<br />
wurde von Napoleon mit Notre Dame verglichen – in Wilne ist eine einzige übrig<br />
geblieben.<br />
37