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Ghetto Wilna - Arbeit und Leben (DGB/VHS) Hochtaunus

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klagt sie. In der jüdischen Schule in <strong>Wilna</strong> wird zwar Jiddisch für jene, die es wollen, unterrichtet,<br />

die Hauptunterrichtssprache aber ist Hebräisch. „Die meisten besuchen die Schule, um<br />

nach Israel auszuwandern <strong>und</strong> nicht, um hier zu bleiben.“<br />

Indre Joffyte aber will bleiben, in einer multikulturellen Stadt. Das Sommerprogramm des<br />

Jiddischen Instituts ist für sie eine Art Kontrastprogramm zum neuen Nationalismus der litauischen<br />

Erinnerung an die Geschichte. „Da kommen sie von überall in die Stadt, aus New<br />

York, aus Polen, aus Deutschland <strong>und</strong> sogar aus Litauen.“<br />

Während Indre Joffyte erzählt, hat Fania Brancovskaja geschwiegen. Am Ende aber steht sie<br />

auf <strong>und</strong> holt noch einmal das Foto, das ihr Onkel aus Kaunas geschossen hat. Auch für Fania<br />

Brancovskaja war das Familienfoto eine Entdeckung. Gesehen hat sie es zum ersten Mal nach<br />

der Unabhängigkeit. „Ich war in Israel bei einer Cousine, <strong>und</strong> die hat gesagt: Ist gut, dass das<br />

Foto ist 50 Jahre bei mir gewesen, jetzt soll es bei dir sein.“<br />

Fania Brancovskaja nahm die Cousine aus Israel beim Wort. Die Geschichte ihrer Familie<br />

sollte, für alle sichtbar, ein Teil der Geschichte von <strong>Wilna</strong> sein. „Wissen Sie, wo das Foto<br />

heute hängt?“, fragt die alte Dame, zieht mit dem Lippenstift die Lippen nach <strong>und</strong> lächelt. „Im<br />

jüdischen Museum von <strong>Wilna</strong>, ganz groß hängt es da, über dem Eingang, so, dass es alle sehen<br />

können.“<br />

<strong>Wilna</strong> könnte zum „Straßburg des Ostens“ werden oder zum litauischen Sarajevo.<br />

Litwaks wie Barbra Streisand oder Woody Allen haben ihre litauischen Wurzeln nie vergessen.<br />

24.09.2009<br />

Die Zeit auf meiner Zunge hat den Sinn verloren<br />

Endlich übersetzt: Abraham Sutzkever berichtet vom Überlebenskampf<br />

der Juden im Getto von Vilnius<br />

Cornelia Geissler<br />

Wie ein „Knäuel Eidechsen“ springt ihm am 22. Juni 1941 Geschrei in deutscher Sprache aus<br />

dem Radio entgegen, schreibt Abraham Sutzkever. Das konnte nur eines bedeuten: Die Deutschen<br />

greifen Litauen an. Eine Seite weiter notiert er bereits: „Deutsche Flugzeuge schwirren<br />

hernieder wie Heuschrecken. Sie machen Jagd auf einzelne Menschen.“<br />

Mit dem Einmarsch der Deutschen wächst Sutzkever eine Aufgabe zu, um die er sich nie beworben<br />

hat. Er, geboren 1913 im weißrussischen Smorgon, Absolvent eines hebräischjüdischen<br />

Gymnasiums in Vilnius, Gasthörer von Literaturvorlesungen der dortigen Universität,<br />

sah seine Zukunft eigentlich als Dichter. Seinen etwa gleichaltrigen Kollegen war seine<br />

Lyrik zwar nicht klar, nicht politisch genug. Denn der junge Sutzkever schätzte das Groteske,<br />

den sprachlichen Effekt, was zunächst nur von einer in New York erscheinenden Zeitschrift<br />

goutiert wurde. „Poesie ist die Gestaltung von innerem Chaos“, schrieb Abraham Sutzkever<br />

1939 in einem Brief. Da lebte er in Vilnius noch im Frieden. Oder in Wilne: die Stadt, die von<br />

den Litauern Vilnius, den Deutschen <strong>Wilna</strong>, den Juden Wilne <strong>und</strong> den Polen Wilno genannt<br />

wurde, war die Heimat mehrerer Völker <strong>und</strong> galt wegen der jüdischen Kultur als Jerusalem<br />

des Nordens.<br />

Das äußere Chaos, in das die deutschen Besatzer <strong>und</strong> ihre willigen litauischen Helfer die Juden<br />

in Vilnius stürzen, zwingt Sutzkever zu einem anderen Stil. „In den örtlichen Zeitungen<br />

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