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Ghetto Wilna - Arbeit und Leben (DGB/VHS) Hochtaunus

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Gefühl, dass unser Volk lebt, seine Henker überlebt hat, <strong>und</strong> keine finstere Macht ist imstande,<br />

uns zu vernichten.»<br />

Sutzkever wird diesen für ihn so eminent bedeutungsvollen Tag auch noch in einem Gedicht<br />

festhalten, das er schlicht «Vor dem Nürnberger Tribunal» nennt, in dem es dann aber nur<br />

noch skeptisch <strong>und</strong> resigniert heißt: «Gerechtigkeit für den Millionenmord / hab ich nun eingeklagt,<br />

zu dieser St<strong>und</strong>e. / Doch die Millionen – sind sie nicht verschw<strong>und</strong>en? / War da Gerechtigkeit<br />

das rechte Wort?»<br />

«Gesänge vom Meer des Todes»<br />

Diese beiden Dokumente, die Tagebuchnotiz <strong>und</strong> das kurze Poem, sind wieder an die Öffentlichkeit<br />

gekommen, weil der Züricher Ammann-Verlag das Werk des litauischen jiddischen<br />

Dichters in zwei von Hubert Witt sensibel ins Deutsche übertragenen Bänden herausgegeben<br />

hat: die Aufzeichnungen aus dem Wilner Getto zwischen 1941 <strong>und</strong> 1944 <strong>und</strong> die diese Zeit<br />

erschütternd begleitenden Gedichte, die «Gesänge vom Meer des Todes». Beide Bücher aber<br />

des heute weitgehend vergessenen Abraham Sutzkever sind ein einzigartiges Mahnmal aus zu<br />

Worten gewordener Trauer, aus in Sätzen <strong>und</strong> Versen erstarrtem Entsetzen.<br />

Sutzkever hat die Hölle überlebt, er konnte in die Wälder fliehen aus dem Getto, in dem die<br />

Deutschen drei Jahre lang das jüdische <strong>Leben</strong> lustvoll mit Stiefeln traten. Aber die Bilder aus<br />

dieser Hölle haben den feinsinnigen Dichter nie mehr losgelassen. Selbst bei Sutzkever, der<br />

alles mit erlitt, ist da aber stets dieses Nicht-glauben-können: was im Getto, in den umliegenden<br />

Konzentrationslagern in Litauen, in der Massenvernichtungsfabrik Ponar geschah, war<br />

schon zu Beginn der systematischen Ausrottung der osteuropäischen Juden durch die Deutschen<br />

ein nie für möglich gehaltener grausamer Höhepunkt. Ende 1941 waren bereits 48.000<br />

litauische Juden ermordet, insgesamt waren es wohl 200.000.<br />

Sutzkever schrieb seine Gedichte in Jiddisch<br />

Darunter auch Abraham Sutzkevers neugeborenes Kind, seine Mutter, all die Fre<strong>und</strong>e <strong>und</strong><br />

Bekannten: Er sah, wie sie abgeholt wurden aus ihren Verstecken, sah, wie sie mit<br />

unauslöschbaren Spuren der Folter zurück ins Getto kamen, um doch wenig später endgültig<br />

in den Tod gezerrt zu werden. Sie wurden erschossen, erhängt, zerschmettert, lebendig begraben,<br />

verbrannt. Der davongekommene Dichter schreibt: «Mein Brot ist aus Asche gebacken,<br />

<strong>und</strong> jedes Brot: ein Gesicht.»<br />

Und er schreibt dies alles in Jiddisch, in jener Sprache, die die Deutschen mit den Menschenleben<br />

auch auslöschten. In Nürnberg vor dem Tribunal konnte Sutzkever diese Sprache nicht<br />

benutzen, sie war nicht zugelassen. Er musste russisch sprechen, was er nicht sehr sicher beherrschte.<br />

Dennoch war dieser 27. Februar 1946 ein nahezu «mythischer» Tag für ihn. Man<br />

rief ihn auf, <strong>und</strong> wenige Worte brauchte er nur dafür, um das ganze vergangene Szenario der<br />

Vernichtung noch einmal allen vor Augen zu führen.<br />

Abraham Sutzkever: Wilner Diptychon (Wilner Getto 1941 – 1944 / Gesänge vom Meer des<br />

Todes), 2 Bände im Schuber, Ammann Verlag, Zürich, 34,95 Euro.<br />

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