Vollversion (7.43 MB) - Forschungsjournal Soziale Bewegungen
Vollversion (7.43 MB) - Forschungsjournal Soziale Bewegungen
Vollversion (7.43 MB) - Forschungsjournal Soziale Bewegungen
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
32 Juan Diez Medrano<br />
blembeladenen Beziehungen zwischen<br />
Deutschland und seinen Nachbarstaaten sind<br />
dafür nur einige Beispiele. Eine Analyse, die<br />
solche nationalen Dilemmata zu den jeweils<br />
artikulierten europapolitischen Präferenzen in<br />
Beziehung setzt und die dabei berücksichtigt,<br />
wie sich die einzelnen Argumente an wechselnde<br />
Konstellationen anpassen und zu den<br />
introspektiven Begründungen in Verhältnis setzen,<br />
die Intellektuelle selber für ihre eigenen<br />
Meinungen, den Wandel dieser Meinungen und<br />
der darin inhärenten Widersprüche heranziehen,<br />
gelangt schließlich zu einem Ergebnis,<br />
auf dessen Basis die versteckten Ängste eines<br />
Macht- und Statusverlustes hinter den jeweils<br />
propagierten europäischen Integrationsprojekten<br />
herausgearbeitet werden können.<br />
1 Daten und Methoden<br />
Die folgende Rekonstruktion des intellektuellen<br />
Meinungsbildes zu Europa in der Öffentlichkeit<br />
basiert auf einer inhaltsanalytischen<br />
Auswertung von 607 nach dem Zufallsprinzip<br />
in der Zeitspanne von 1946 bis 1997 ausgewählten<br />
Leitartikeln und Kommentaren der<br />
Qualitätspresse.' Bei diesen Zeitungsausschnitten<br />
handelt es sich nach bestem Ermessen um<br />
einen validen Indikator dafür, wie Intellektuelle<br />
in der Öffentlichkeit über den europäischen<br />
Integrationsprozess urteilen. Leitartikel und<br />
Kommentare sind wohl das zentrale Sprachrohr,<br />
über das Intellektuelle ihre Ideen in einer<br />
breiten Öffentlichkeiten publik machen können.<br />
2<br />
Zudem liegt der Vorteil in ihrer Kürze, in<br />
der Vergleichbarkeit ihres Formats und darin,<br />
dass relativ unproblematisch auf sie zugegriffen<br />
werden kann, weshalb selbst noch umfangreiche<br />
Sample einer systematischen Analyse<br />
zugeführt werden können.<br />
Insgesamt habe ich sieben Tages- bzw. Wochenzeitungen/zeitschriften<br />
nach ihrer Repräsentativität<br />
ausgewählt, die herrschenden Mei<br />
nungen von Intellektuellen in den drei Ländern<br />
über den gesamten Untersuchungszeitraum<br />
hinweg wiederzugeben. Dabei handelt<br />
es sich ausschließlich um überregionale Presseprodukte<br />
mit einer vorrangig inländischen<br />
Leserschaft - je nach Typus entweder Tageszeitung<br />
oder Wochenzeitung/zeitschrift. Für<br />
Großbritannien habe ich The Economist<br />
(N=108) und The New Statesman (N=103) ausgewählt.<br />
3<br />
In Deutschland habe ich mich auf<br />
die alte Bundesrepublik beschränken müssen.<br />
Meine Auswahl bezieht sich auf die konservativ-liberale,<br />
der CDU nahestehende Frankfurter<br />
Allgemeine Zeitung (FAZ) (N=l 15) und auf<br />
die liberale Wochenzeitung Die Zeit (N=87). In<br />
Spanien ist die Auswahl durch die lange Diktatur<br />
des General Franco (1939-1975) erschwert<br />
worden. Für die Zeit, in der die Pressefreiheit<br />
stark eingeschränkt war, fiel meine Wahl auf<br />
die Tageszeitung ABC (N=l 13). Für die Jahre<br />
1971 bis 1975 habe ich zusätzlich zu ABC auch<br />
noch die Wochenzeitschrift Cambiolö (N=8)<br />
ausgewertet. Für den Zeitraum nach 1976 beziehe<br />
ich mich hingegen auf El Pais (N=73). 4<br />
Der Inhalt dieser Zeitungen wird zweifellos<br />
nicht das gesamte Spektrum an herrschenden<br />
Meinungen über den europäischen Integrationsprozess<br />
in den jeweiligen Ländern abbilden<br />
können. Derartige Beschränkungen sind<br />
bei einer vergleichenden, einen Zeitraum von<br />
50 Jahren umfassenden Inhaltsanalyse in drei<br />
Ländern nahezu unausweichlich, sollten uns<br />
aber nichtsdestotrotz zur Vorsicht bei der Verallgemeinerung<br />
der Ergebnisse mahnen.<br />
2 Bilder europäischer Einigung<br />
Die wirtschaftlichen Vorteile des gemeinsamen<br />
Binnenmarktes, die Erkenntnis, dass europäische<br />
Staaten zu klein sind, um mit den USA,<br />
der Sowjetunion (Russland) und Japan wirtschaftlich<br />
und militärisch konkurrieren zu können<br />
sowie die Kritik an der Arbeitsweise euro-<br />
Die Qualitätspresse und Europäische Integration 33<br />
Tabelle 1: Zustimmende oder ablehnende, deskriptive oder evaluative Kommentare zum europäischen<br />
Integrationsprozess in spanischen, britischen und deutschen Leitartikeln bzw. Kommentaren,<br />
1946-1997 in Prozent<br />
Spanien Großbritannien Deutschland Total<br />
Verständigung (P) 1.0 (2) 3.0 (6) 1.3 (8)<br />
Binnenmarkt (P) 14.9 (29) 19.0 (40) 18.8 (38) 17.6 (107)<br />
GAP (N) * 4.6 ( 9) 19.4(41) 11.9 (24) 12.2(74)<br />
Dem. Defizit (N) * 1.5 (3) 10.0 (21) 6.4(13) 6.1 (37)<br />
Starker Block (P) * 21.1 (41) 9.5 (20) 26.7 (54) 18.9(115)<br />
Regierungsfähigkeit (N) 12.9 (25) 18.5 (39) 12.4(25) 14.7 (89)<br />
Isolation (P) * 8.8 (17) 7.1 (15) 0.5(1) 5.4(33)<br />
Voice (N) 1.0 (2) 3.8 (8) 3.5 (7) 2.8 (17)<br />
Modernisierung * (P) 5.2(10) 2.4(5) - 2.5(15)<br />
Beseit. Hindernisse (P) 1.0 (2) 2.4(5) 3.5 (7) 2.3 ( 14)<br />
Sozialleistungen (P) 0.5(1) 2.4(5) 1.0 (2) 1.3 (8)<br />
Souv/Identitität *(N) 1.5 (3) 8.5(18) 1.5 (3) 4.0 (24)<br />
Beruhig. V. Ängsten (P) * - - 7.4(15) 2.5(15)<br />
Frieden (P) * 5.2(10) 6.2(13) 14.4 (29) 8.6 (52)<br />
Bewegungsfr. & Wettbewerb (N) - - - -<br />
Struk/Reg Fonds (P) * 5.7(11) 3.8 ( 8) - 1.0(2) 3.5 (21)<br />
N= 194 211 202 607<br />
*Chi-Quadrat, Signifikanzniveau: 05%, zweiseitig; (P): zustimmend; (N): ablehnend<br />
Legende zu den Faktoren<br />
Verständigung: Beiträge für eine verbesserte Verständigung zwischen den Völkern und Kulturen;<br />
Binnenmarkt: Der Gemeinsame Binnenmarkt ist von wirtschaftlichem Vorteil; GAP: Die Gemeinsame<br />
Agrarpolitik ist unvorteilhaft; Dem. Defizit: Europäische Institutionen leiden unter einem demokratischen<br />
Defizit; Starker Block: Einzelstaaten sind zu klein, um den wirtschaftlichen und militärischen<br />
Herausforderungen wirksam begegnen zu können; Regierungsfähigkeit: die Regierungs- und Steuerungsleistungen<br />
europäischer Institutionen sind schwach; Isolation: Mitgliedschaft ist notwendig, um<br />
die Isolation des Landes durchbrechen zu können, Isolation ist für das betreffende Land von Nachteil;<br />
Voice: Die Stimme des Landes kommt innerhalb der europäischen Institutionen nicht ausreichend zur<br />
Geltung; Modernisierung: Mitgliedschaft in der Gemeinschaft fördert die Modernisierung des Landes;<br />
Beseit. Hindernisse: Die Beseitigung bestehender Hindemisse für die Durchsetzung der Bewegungsfreiheit<br />
ist vorteilhaft; Sozialleistungen: Mitgliedschaft in der Gemeinschaft verbessert die Sozialleistungen<br />
des betreffenden Landes; Souv/Identität: Mitgliedschaft in der EU hat negative Auswirkungen<br />
auf die Souveränität und Identität des Landes; Beruhig, v. Ängsten: Mitgliedschaft in der Gemeinschaft<br />
reduziert die Empfindlichkeiten und Ängste, die einem Land entgegengebracht werden; Frieden: Mitgliedschaft<br />
fördert den Frieden; Bewegungsfr. & Wettbewerb: Bewegungsfreiheit von Arbeitnehmern<br />
bedeutet verschärfter Wettbewerb durch die Konkurrenz ausländischer Arbeitnehmer; Struk/Reg Fonds:<br />
Die Einrichtung von Struktur- und Regionalfonds durch die Kommission ist vorteilhaft.