Vollversion (7.43 MB) - Forschungsjournal Soziale Bewegungen
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scheint in diesem Zusammenhang das vieldiskutierten<br />
Problem der Transparenz von Ratssitzungen<br />
und die Einschränkungen des Rechts auf<br />
Zugang zu EU-Dokumenten (Bunyan 1999, Statewatch<br />
2000). Die spezifische Form der Konsensfindung<br />
in Brüssel mit Hilfe hunderter Ausschüsse<br />
ist über Jahrzehnte gewachsen und hat<br />
die öffentliche Unzugänglichkeit der behandelten<br />
politischen Konflikte gefördert. So bleibt die<br />
Anbindung der politischen Debatten in Brüssels<br />
an die Politik in den Hauptstädten weiterhin ein<br />
ernstes Problem für die Kontrolle europäischen<br />
Regierens durch Öffentlichkeit. Allerdings gibt<br />
es auch Hinweise, dass der gegenwärtige Trend<br />
zur Renationalisierung von Europapolitik Minister<br />
und Regierungschefs zwingt, Konflikte auch<br />
im Vorfeld von Ratsentscheidungen publik zu<br />
machen und auszutragen. In der Vergangenheit<br />
hatten es Medienvertreter zwar nicht schwer, nationale<br />
Interessen oder Verhandlungspositionen in<br />
Brüssel auszumachen, sie konnten diese jedoch<br />
nur selten mit ministeriellen Zitaten, Bildern und<br />
Debattenbeiträgen unterfüttern. Ohne eine Perso<br />
nalisierung politische Konflikte bleibt der Beitrag<br />
nationaler Politiker zu Brüsseler Politik oftmals<br />
unklar, von den zunehmend überfrachteten Sitzungen<br />
des Europäischen Rates abgesehen. Deshalb<br />
ist es bemerkenswert, dass sich in den letzten<br />
Monaten mehrere führende Politiker wie etwa<br />
Blair, Schröder und Chirac in öffentlichen Stellungnahmen<br />
über die Zukunft der Union geäußert<br />
haben, obwohl damit unterschiedliche Zielsetzungen<br />
und Interessen deutlich zu Tage treten.<br />
Doch auch manche Journalisten, die vehement<br />
gegen die Entscheidungsfindung ,hinter verschlossenen<br />
Türen' wettern, müssen sich partielle<br />
Kurzsichtigkeit vorwerfen lassen. Die Sehschwäche<br />
besteht vor allem darin, dass sie die<br />
politische Verantwortlichkeit der Mitgliedstaaten<br />
innerhalb der EU Entscheidungsstrukturen<br />
noch unzureichend erkennen und darstellen.<br />
Uber viele Jahre hinweg haben sich nicht wenige<br />
der mit der EU-Berichterstattung befassten<br />
Journalisten von ihren nationalen Quellen<br />
einwickeln lassen. Teils aus Bequemlichkeit,<br />
Europäische Öffentlichkeit als Watchdog 51<br />
teils aus Rücksichtnahme vor nationalen Ministern<br />
wurde der offizielle ,Spin' über die erfolgreiche<br />
Interessenvertretung in Brüssel oft<br />
unkritisch als die Wahrheit verkauft. Für unpopuläre<br />
Maßnahmen konnte die Europäische<br />
Kommission, Brüssel oder ein anonymer Stabilitätspakt<br />
verantwortlich gemacht werden,<br />
ebenso wie das Scheitern von Vorschlägen im<br />
Ministerrat gerne anderen Mitgliedsländern in<br />
die Schuhe geschoben wurde. Dieses Verhalten<br />
ist den politischen Akteuren kaum vorzuwerfen,<br />
gehört es doch zum meinungsbildenden<br />
Spiel in Demokratien. Das Versäumnis liegt<br />
hier vielmehr auf der Seite jener Medienvertreter,<br />
die sich bei der Recherche nur in den<br />
eigenen nationalen Zirkeln bewegen.<br />
Dies müssen nicht einmal individuelle Versäumnisse<br />
sein, zumal der Entscheidungsspielraum<br />
von Journalisten oftmals überschätzt wird.<br />
Die Mängel liegen auf verschiedenen Gebieten,<br />
angefangen von der journalistischen Ausbildung,<br />
in der Auslandsaufenthalte zu kurz<br />
kommen, Fremdsprachkenntnisse wenig ausgebildet<br />
sind, und die Internetrecherche noch<br />
längst keine Selbstverständlichkeit ist. Ein weiteres<br />
Problem stellt die nur rudimentäre Ausbildung<br />
transnationaler Netzwerke für Journalisten<br />
in Europa dar. Das Beispiel der Brüsseler<br />
Korrespondenten zeigt, dass solche Netzwerke<br />
einen unschätzbaren Wert für die länderübergreifende<br />
Recherche und später die<br />
Durchschlagskraft der Berichterstattung haben.<br />
Deshalb ist es sicher positiv zu bewerten, wenn<br />
junge Journalisten zum Aufbau von Kontakten<br />
ins Ausland geschickt werden, oder gar in einem<br />
multinationalen Verbund zusammenarbeiten,<br />
wie etwa im Falle des Brüsseler Büros der<br />
FTIFTD. Dabei fällt auf, dass die Internationalisierung<br />
des Journalismus besonders im Bereich<br />
der Wirtschaftsberichterstattung zu finden<br />
ist. Die Globalisierung von Märkten und<br />
Kapital hat auch die Nachfrage nach Informationen<br />
verändert. Vor allem links-liberal orien<br />
tierte Zeitungen haben die Verwandlung der<br />
Auslandsberichterstattung lange verschlafen<br />
und redaktionelle Ressourcen vor allem auf<br />
die nationalen Foren der Berichterstattung konzentriert.<br />
Die französische Zeitung Liberation<br />
schickte erst 1994 einen eigenen Korrespondenten<br />
nach Brüssel, der sich dann zu einem<br />
der Hauptakteure in der Aufdeckung politischer<br />
Skandale entwickelte.<br />
Eine funktionierende europäische Medienöffentlichkeit<br />
braucht deshalb nicht in erster Linie<br />
Medien mit europäischen Verbreitungsraum,<br />
sondern Medien mit einem transnationalen<br />
Rechercheansatz. Wenn sich politische<br />
Akteure aus unterschiedlichen Ländern treffen,<br />
um Politik zu gestalten, müssen Journalisten<br />
in der Lage sein, ihren natürlichen Informationsrückstand<br />
durch Kooperation und länderübergreifende<br />
Recherchen zu kompensieren.<br />
Sie müssen also bis zu einem gewissen<br />
Grad in ihrer Arbeitsweise die Europäisierung<br />
und Internationalisierung der Politik nachvollziehen,<br />
ohne dabei ihr überwiegend national<br />
verwurzeltes Publikum hinter sich zulassen.<br />
Das ist schwierig, jedoch nicht unmöglich, wie<br />
der Echo/Cresson-Fall gezeigt hat.<br />
Christoph O. Meyer ist nach seiner Promotion<br />
an der Universität Cambridge (Internationale<br />
Beziehungen) als freier Publizist und Lehrbeauftragter<br />
an der Universität Bremen tätig.<br />
Anmerkungen<br />
1<br />
Dieser Artikel stellt eine Weiterentwicklung von<br />
Forschungsergebnissen dar, die der Autor im Rahmen<br />
einer Promotion an der Universität Cambridge<br />
gesammelt hat. Eine aktualisierte deutsche Version<br />
der Doktorarbeit soll im Frühjahr 2002 mit<br />
Unterstützung des Erich-Brost-Instituts für Journalismus<br />
in Europa bei Vistas (Berlin) erscheinen.<br />
Voraussichtlicher Titel: ,Kontrolle durch Europäische<br />
Öffentlichkeit: Die EU-Kommission, die<br />
Medien und politische Verantwortlichkeit'.